Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
wetteifern. Bei einigen schlecht durchdachten Bauten kann ich nur laut auflachen, ganz offensichtlich wurden sie zu dem einzigen Zweck erbaut, Passanten zu beeindrucken, statt ein gemütliches Zuhause zu schaffen. Weiße Elefanten, so nannte mein Klassenkamerad Frederick diese protzigen Villen.
Aber als der Hansom an der Ecke Fifth Avenue und Fifty-Ninth Street vor einem herrschaftlichen schmiedeeisernen Flügeltor anhält, bin ich sprachlos. Nicht ein einziger abschätziger Kommentar will mir einfallen, als ich den ersten Blick auf das brandneue Haus der Windsors erhasche, das einen ganzen Häuserblock einnimmt! Wenn nur Vater das noch erlebt hätte.
Ich entdecke zwei Diener, die ich kenne. Sie tragen barocke Uniformen im Stil des 18. Jahrhunderts, einschließlich gepuderter Perücken, und sind direkt vor den Toren postiert. Schnell zahle ich den Fahrpreis und springe aus dem Hansom, um sie zu begrüßen.
»Es ist so schön, euch zu sehen, Leute!« Strahlend eile ich auf sie zu.
»Willkommen zurück, Irving!« Der ältere der beiden Diener, Oliver, lächelt anerkennend, als er mein Äußeres betrachtet. »Die Universität scheint dir zu bekommen. Du siehst richtig gesund und gut aus.«
»Miss Rebecca wird äußerst erfreut sein, dich zu sehen«, neckt mich Lucas; der Diener ist in meinem Alter und war mein bester Freund, bevor er aufs Internat und dann zur Universität ging.
Ich schüttele den Kopf und will gerade zu einem Konter ansetzen, als ein piekfeiner Pferdewagen die Einfahrt hinauffährt. Verlegen sehe ich die beiden an. Normalerweise hätte ich in der gleichen Uniform mit ihnen hier draußen gestanden und wäre ihnen beim Begrüßen der Gäste zur Hand gegangen. Aber heute Abend bin ich zum ersten Mal selbst ein Gast und fühle mich als solcher merkwürdig fehl am Platze.
»Du musst dir das Haus ansehen. Es ist wirklich unglaublich«, sagt Oliver enthusiastisch, ehe er und Lucas sich wieder ihren Pflichten zuwenden.
Wie im Traum laufe ich über die Außenanlagen des Anwesens und betrachte die aus weißem Marmor erbaute Villa. Das vierstöckige Gebäude erinnert mich an die Bilder von Palazzi der italienischen Renaissance, die ich aus der Universität kenne, und für einen Augenblick stelle ich mir vor, ich, Irving Henry, wäre in Europa! Loggien, Balkone und Bogenfenster zieren die Fassade der Villa, während der Eingang von hoch aufragenden weißen Säulen eingefasst ist. Ich überquere den Rasen vor dem Haus und folge dem Weg durch den Rosengarten zum Haupteingang, und noch bevor ich die Villa betrete, weiß ich, dass es das schönste Haus ist, das die Windsors je erbaut haben.
Zuerst will ich ganz intuitiv nach dem Dienstboteneingang suchen, doch dann fällt mir wieder ein, dass Rebecca darauf bestanden hat, ich solle über die Feiertage ihr Gast sein. Deshalb wäre es »nicht schicklich«, wenn ich in dieser Woche Umgang mit dem Personal pflegte. Kaum vorstellbar, wie sie es geschafft hat, ihren Eltern diese Einladung abzuringen, wenngleich ich annehme, dass es in ihren Augen eine caritative Geste gegenüber dem Butler ist, der ihnen bis zu seinem Tod gedient hat. Und natürlich weiß ich, dass ich aufgrund meines Geldes zu einer Person von gewissem Interesse geworden bin. Es stirbt sicherlich nicht jeden Tag ein Butler, der genügend Ersparnisse hinterlässt, um seinen verwaisten Sohn auf eine Privatschule und zur Universität zu schicken.
Zögernd steige ich die Stufen hinauf und frage mich unterdessen, ob es vielleicht doch noch nicht zu spät ist, die Tür für die Bediensteten zu suchen. Bevor ich jedoch umkehren kann, schwingt die Eingangstür auf, und vor mir steht der neue Butler Rupert.
»Irving! Dass du wieder da bist, ist das schönste Weihnachtsgeschenk«, sagt er glücklich.
Ich umarme ihn herzlich. Es ist schwer, jemand anderen in der Position zu sehen, die mein Vater einst bekleidete, aber Rupert ist wie ein Patenonkel für mich. Zu einem großen Teil ist er für die Veränderung meiner Lebensverhältnisse mitverantwortlich. Nachdem mein Vater an einem Herzanfall starb, als ich dreizehn war, führte Rupert – der damals Kammerdiener der Windsors war – mich zu einer Unterredung mit dem Hausherrn ins Obergeschoss. Dieser hielt eine Abschrift des Letzten Willens meines Vaters in Händen, den dieser vor zwei Jahren verfasst hatte.
»Wie um alles in der Welt konnte er derartig viel Geld anhäufen ? « , wollte er wissen.
»Byron hat seinen gesamten Lohn gespart, Sir, in all
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