Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)
den Jahren, die er hier war«, erklärte Rupert. Seine Stimme brach, als er von meinem Vater sprach, der sein Freund gewesen war. »Ich kannte ihn gut, er hat kaum mal einen Penny ausgegeben, sondern alles bei der Bank eingezahlt. Er sagte mir, er spare für Irving, damit er zur Universität gehen könne. Sein Sohn sollte einmal ein Gentleman werden.«
Mr. Windsor schwieg einen Augenblick, dann wandte er sich an mich und sah mich ernst an. »Morgen nehme ich dich mit zur Bank, Irving. Sobald wir die Geldanlagen überprüft haben, melde ich dich auf einem ausgezeichneten Internat an. Wie aus diesem Testament hervorgeht, hast du keine Familie, deshalb darfst du die Sommer- und Winterferien hier verbringen, solange du zur Schule gehst. Als Gegenleistung für Kost und Logis kannst du den Dienern bei ihren Pflichten zur Hand gehen.«
Ich nickte dankbar, obwohl ich mit meinen dreizehn Jahren noch nicht begreifen konnte, was diese plötzliche Veränderung meiner Lebensverhältnisse zu bedeuten hatte.
Den letzten Absatz des Testaments hat niemand von uns verstanden: »Mindestens ebenso wichtig wie die Gelder für Irvings Ausbildung an der Universität ist der Schlüssel, den ich ihm hinterlasse. Es ist ein Familienerbstück, das für mich von großem Wert war und es für ihn ebenfalls sein wird. Be halte ihn für den Rest deines Lebens, mein Sohn, und gib ihn, wenn es an der Zeit ist, nur an eines deiner Kinder weiter.«
Aber niemand von uns fand einen Schlüssel, nicht einmal, nachdem wir das Zimmer meines Vaters durchsucht und sein Bankschließfach geleert hatten. Darüber hinaus konnte ich mich nicht daran erinnern, dass mein Vater je einen Schlüssel erwähnt hätte, weshalb ich mich fragte, ob dieser Teil des Testaments womöglich eine Metapher war, eine symbolische Nachricht, die ich erst noch verstehen musste. Ich grübele oft darüber nach. Die Worte in seinem Testament klingen so dringlich, wie konnte ihre Bedeutung dann so undurchsichtig sein?
Ich zwinge meine Gedanken wieder in die Gegenwart. »Ich bin auch sehr froh, dich zu sehen, Rupert. Dieses neue Haus ist …« Ich schüttele den Kopf, weil mir die Worte fehlen.
»Wart’s nur ab, du hast noch nicht alles gesehen.« Rupert grinst. »Komm, ich zeige dir dein Zimmer.« Er nimmt mir den Koffer ab, und als ich protestieren will, hebt Rupert mit Bestimmtheit die Hand. »Die Miss möchte, dass du diese Weihnachten wie ein Gast behandelt wirst, und so soll es sein.«
Unsicher folge ich Rupert ins Vestibül, und allein diese Eingangshalle lässt mich wie angewurzelt stehen bleiben. »Das ist ja ein Palast!«, rufe ich aus, als ich das offene Atrium passiere, das mit Marmorsäulen, dicken Teppichen, funkelnden Kronleuchtern und Seidenvorhängen ausgestattet ist. In der Mitte des Raums steht in voller Pracht ein drei Meter hoher Weihnachtsbaum, über und über mit glitzernden Lichtern und zauberhaftem Schmuck behängt. Während ich seinen harzigen Duft einatme, hebe ich den Blick und sehe die umlaufenden Korridore im ersten und zweiten Stock mit ihren Bronzegeländern und Marmorsäulen.
»Palast trifft es sehr gut«, stimmt Rupert zu. »Dieser Raum hier nennt sich Grand Hall. Es ist das Hauptfoyer des Hauses.«
Er führt mich die breite Marmortreppe hinauf, bis wir die Zimmer im zweiten Stock erreichen. Von einem Balkon aus dunklem Holz kann man die unteren Stockwerke über blicken, und ich bleibe stehen, um von oben einen Blick auf den Weihnachtsbaum in der Grand Hall zu werfen, ehe ich Rupert zu meinem Gästezimmer folge.
»Die Zimmer der Familie befinden sich zur linken, die der Gäste zur rechten Seite«, erklärt Rupert. Wir gehen einen langen, mit rotem Teppich ausgelegten Flur entlang, bis er schließlich vor einer weißen Tür stehen bleibt. »Hier ist dein Gästezimmer.«
Ich trete ein, und für einen Augenblick bin ich zu überwältigt, um etwas zu sagen. Es ist das schönste Zimmer, in dem ich je war – der riesige Raum ist mit einem farbenprächtigen Teppich ausgelegt, und das Doppelbett sieht gemütlicher aus als alles, worin ich bisher geschlafen habe. Es gibt eine Holzkommode, einen Nachttisch mit einer Gaslampe, zwei Polstersessel und diverse Kunstobjekte.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich in einem solchen Zimmer wohnen würde«, gestehe ich. »Das ist wirklich sehr freundlich von Rebecca.«
»Man kann Rebecca vieles vorwerfen, aber Freundlichkeit gehört eigentlich nicht dazu«, gibt Rupert zurück, sein Ton so scharf, wie ich es noch
Weitere Kostenlose Bücher