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Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)

Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition)

Titel: Timeless - Schatten der Vergangenheit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Monir
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aufgetragen.«
    Ich biete Rebecca meinen Arm an, und wir folgen der Prozession gleich hinter ihrem Bruder George und seiner Verlobten Henrietta ins Speisezimmer. »Ist sie nicht eine schreckliche Hexe?«, flüstert mir Rebecca kichernd ins Ohr, als wir hinter ihnen gehen.
    Ich zucke zusammen und hoffe, die beiden mögen ihre Worte nicht gehört haben.
    Das Essen ist ein Zehn-Gänge-Menü, es beginnt mit Austern in der Muschelschale, gefolgt von Schildkrötensuppe. Dann Felsenbarsch in schwerer Sahnesoße, ein mit Trüffeln gefüllter Weihnachtstruthahn und Wasserschildkröten. Punch Romaine klärt den Gaumen vor dem nächs ten Gang: Riesentafelente an gemischten Blattsalaten. Der letzte Gang ist ein Dessert, ein schmackhafter Plumpud ding, gefolgt von Petit Fours und einer Käseplatte mit Obst. Noch nie in meinem Leben habe ich ein solches Essen genossen, und ich schaffe von jedem Gang nur ein paar Bissen. Wie mir auffällt, lassen auch die anderen ihre Teller halb voll. Plötzlich wird mir mulmig, als ich an das ganze Essen denke, das am Ende des Abends unverzehrt weggeworfen werden wird.
    Interessiert lausche ich den Dinnergesprächen, in der Hoffnung, von den Immobilien-Titanen dieser Familie ein paar Wissensbrocken aufschnappen zu können. Die Konversation plätschert jedoch nur leicht dahin, da sich die Windsors und ihre Gäste hauptsächlich über Jachten, Pferde und Häuser unterhalten. Wie ich feststelle, vermisse ich die Gesellschaft der Dienstboten im unteren Stockwerk schmerzlich – weil ich weiß, dass die Gespräche dort viel lebhafter sind.
    Während ich die Diener unaufhörlich einen Gang nach dem anderen auftragen sehe und dem Geplapper bei Tisch zuhöre, grübele ich darüber nach, dass in unserem Vergoldeten Zeitalter Reichtum mit Freiheit gleichgesetzt wird. Aber in dieser Welt wird das Leben nur umso eingeschränkter, je reicher man ist – beispielsweise weiß ich von Rebecca, dass sie unter dem Druck steht, einen Herzog oder Grafen zum Heiraten zu finden. Die reichen Amerikaner unserer Tage sind gefangen in ihren Regeln und Ritualen, sie verstecken sich hinter ihren europäischen Monarchen, denen sie so verzweifelt nacheifern, statt eine eigene Identität aufzubauen. Ich frage mich, ob das auch in den kommenden Jahrzehnten so bleiben wird.
    Endlich werden Kaffee und Mineralwasser serviert, wo mit das Menü zu Ende geht. Mrs. Windsor führt die Damen in den Salon, während wir Männer am Tisch sitzen bleiben, Zigarren rauchen und Brandy nippen. Männer und Frauen finden sich später wieder zusammen, um den Abend mit einer Privatvorführung von Arien aus Händels Messiah zu beschließen. Endlich, als die letzten Gäste aufgebrochen sind und die Windsors oben in ihren Bet ten liegen, schleicht sich Rebecca in mein Gästezimmer und enthüllt mir ihr Geheimnis.
    ***
    Ich sitze Rebecca in einem Sessel gegenüber und kann nicht glauben, was ich von meiner Freundin höre. »Irving, ich meine es ernst.« Ihre gedämpfte Stimme klingt äußerst aufgeregt. »Ich kann in die Zukunft reisen! Ich weiß nicht, wie es passiert ist, ich muss für diese Gabe auserwählt sein.« Sie verzieht den Mund zu einem selbstzufriedenen Lächeln. »Ich habe es schon zweimal getan, und ich muss dir so viel erzählen. New York in der Zukunft, das ist so viel besser als es all deine langweiligen Professoren vorhergesagt haben.«
    »Rebecca … ich fürchte, das ist wirklich zu schwer zu glauben«, sage ich behutsam. Und dabei habe ich noch befürchtet, man könnte mich für verrückt halten!
    »Ich wusste, dass du das sagen würdest«, sagt Rebecca herablassend. »Sieh her.«
    Sie hebt die Hand, legt sie an den hohen Kragen ihres Kleids und murmelt etwas Unverständliches. Plötzlich schwebt ihr Körper über dem Boden. Ich unterdrücke einen Schrei und sehe mit blankem Entsetzen, dass sie sich wie ein Tornado um sich selbst dreht – und dann verschwindet.
    »Rebecca«, flüstere ich verängstigt. Was ist sie? Plötzlich springen meine Gedanken zu einer Erinnerung, die zehn Jahre zurückliegt und über die ich seit einer Ewigkeit nicht mehr nachgedacht habe: dieser merkwürdige Tag im Park, als wir beide das verschwindende Mädchen gesehen haben. Ist Rebecca so wie sie?
    Auf der Stelle kehrt sie mit einem triumphierenden Lächeln zurück. In ihrer Hand, die vor ihrem Verschwinden leer war, hält sie nun ein Stück Papier. »Und? Glaubst du mir jetzt? Gerade habe ich zwei Minuten in genau diesem Zimmer im Jahr 1900

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