Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
keine Feldanomalien gegeben.
Was bedeutete, daß es noch keinen Rückkehrversuch gegeben hatte. Und Stern hatte das Gefühl – natürlich würde es niemand direkt sagen, vor allem Gordon nicht —, daß einige Leute bei ITC dachten, mehr als vierundzwanzig Stunden ohne Feldanomalie seien ein schlechtes Zeichen. Er spürte, daß eine große Fraktion innerhalb der Firma glaubte, das Team sei bereits tot.
Stern ging es mit seiner Maschine also weniger darum, ob eine Nachricht geschickt werden konnte, als vielmehr darum, ob eine empfangen werden konnte. Denn das wäre ein Beweis, daß das Team noch am Leben war.
Stern hatte seine Vorrichtung mit einer auf einem Ratschenmechanismus beweglich gelagerten Antenne versehen, so daß sie unterschiedlich ausgerichtet werden konnte. Die Botschaft würde dreimal in drei verschiedene Richtungen ausgestrahlt werden, und das Team würde so drei Möglichkeiten zu einer Antwort bekommen. Danach würde die Maschine automatisch in die Gegenwart zurückkehren, so wie vor Jahren die Kamera.
»Jetzt geht's los«, sagte Gordon.
Unter Laserblitzen schrumpfte die Maschine.
Stern wartete ungeduldig und nervös. Nach zehn Minuten kehrte die Maschine zurück. Kalter Dampf zischte über den Boden, als er seine Vorrichtung aus der Maschine nahm, das Klebeband abriß und den Rückspulknopf drückte.
Seine Nachricht wurde abgespielt.
Es kam keine Antwort.
Die Nachricht wurde noch einmal abgespielt.
Wieder keine Antwort. Nur statisches Rauschen, aber sonst nichts. Gordon starrte Stern mit ausdruckslosem Gesicht an. Stern sagte: »Es gibt viele denkbare Erklärungen …«
»Natürlich, David, natürlich.«
Die Nachricht lief ein drittes Mal.
Stern hielt den Atem an.
Wieder statisches Rauschen, und dann, in der Stille des Labors, Kates Stimme: »Habt ihr Jungs gerade was gehört?«
Marek: »Von was redest du?«
Chris: »Himmel, Kate, schalt deinen Ohrstöpsel aus.«
Kate: »Aber –«
Marek: »Schalt ihn aus.«
Wieder Rauschen. Keine Stimmen mehr.
Aber das Wesentliche war erreicht.
»Sie sind am Leben«, sagte Stern.
»Das sind sie auf jeden Fall, ja«, sagte Gordon. »Jetzt wollen wir doch mal sehen, wies unten im Transitbereich aussieht.«
Doniger ging in seinem Büro auf und ab und probte seine Formulierungen, seine Gesten und Bewegungen. Er hatte einen Ruf als fesselnder, charismatischer Redner, aber Kramer wußte, daß nichts daran spontan war. Es war eher das Ergebnis langer Vorbereitung. Bewegungen, Formulierungen, Gesten — Doniger überließ nichts dem Zufall.
Früher hatte Kramer sich über sein Verhalten gewundert: Sein endloses obsessives Proben für jeden öffentlichen Auftritt schien merkwürdig bei einem Mann, dem es in den allermeisten Situationen ziemlich egal war, wie er auf andere wirkte. Schließlich erkannte sie jedoch, daß Doniger das Reden in der Öffentlichkeit genoß, weil es so unverhohlen manipulativ war. Er war überzeugt davon, daß er intelligenter war als jeder andere, und eine überzeugende Rede — »Die merken überhaupt nicht, was mit Ihnen passiert« — war für ihn nur eine weitere Möglichkeit, das zu beweisen.
Jetzt ging Doniger auf und ab und benutzte Kramer als Testpublikum. »Wir werden alle von der Vergangenheit beherrscht, auch wenn das niemandem bewußt ist. Niemand erkennt die Macht der Vergangenheit«, sagte er mit weit ausholender Handbewegung.
»Aber wenn man darüber nachdenkt, wird man begreifen, daß die Vergangenheit viel wichtiger ist als die Gegenwart. Die Gegenwart ist wie eine Koralleninsel, die über das Wasser hinausragt, aber aufgebaut ist aus Millionen toter Korallen unter der Oberfläche, die niemand sieht. Genauso ist unsere alltägliche Welt aufgebaut aus Abermillionen von Ereignissen und Entscheidungen der Vergangenheit. Was wir in der Gegenwart hinzufügen, ist trivial.
Ein Teenager ißt sein Frühstück und geht dann in einen Laden, um die neueste CD einer Band zu kaufen. Der Junge denkt, er lebt ausschließlich in seiner modernen Zeit. Aber wer definierte, was eine ›Band‹ ist? Wer definierte ›Laden‹? Wer definierte ›Teenager‹? Oder ›Frühstück‹? Ganz zu schweigen vom gesamten sozialen Umfeld des Jungen – Familie, Schule, Bekleidung, Transport und Regierung.
Nichts von alledem wurde in der Gegenwart entschieden. Das meiste wurde vor Hunderten von Jahren entschieden. Dieser Junge sitzt auf dem Gipfel eines Bergs, der die Vergangenheit ist. Und er bemerkt es überhaupt nicht. Er
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