Timeline: Eine Reise in die Mitte der Zeit
Nachmittag, als Stern Marek über Funk anrief und ihn bat, ins Lagerhaus zu kommen. Er habe gute Nachrichten, sagte er. Marek fand ihn am Mikroskop, wo er gerade die Linse untersuchte.
»Was ist?«
»Hier. Schau's dir selber an.« Er trat beiseite, und Marek blickte durchs Mikroskop. Er sah die Linse, die scharfe Linse des Bifokalschnitts. Hier und dort war die Linse mit weißen Kreisen gesprenkelt, wie von Bakterien.
»Was soll ich sehen?« fragte Marek.
»Linker Rand.«
Er bewegte den Objektträger, bis er den linken Rand vor Augen hatte. In der Lichtbrechung sah der Rand sehr weiß aus. Dann fiel ihm auf, daß das Weiße über den Rand hinauswuchs, auf die Linsenoberfläche.
»Das sind Bakterien, die auf der Linse wachsen«, sagte Stern. »Sieht aus wie Steinlack.«
»Steinlack« war der Ausdruck für die Patina aus Bakterien und Schimmel, die auf der Unterseite von Steinen wuchs. Weil Steinlack organisch war, konnte man ihn datieren.
»Kann man ihn datieren?«
»Man könnte«, erwiderte Stern, »wenn man genug Material für einen C-14-Test hätte. Aber ich kann dir gleich sagen, daß es nicht genug ist. Von dieser Menge bekommt man keine vernünftige Datierung. Wir brauchen es gar nicht erst zu versuchen.«
»Und?«
»Der Punkt ist, das war der freiliegende Rand der Linse, nicht? Der Rand, von dem Kate sagte, daß er aus der Erde herausragte?«
»Richtig.«
»Das heißt, die Linse ist alt. André. Ich weiß nicht, wie alt, aber sie ist keine Verunreinigung. Rick sieht sich gerade die Knochen an, die heute gefunden wurden, und er glaubt, daß einige davon aus einer späteren Periode als der unseren stammen, aus dem achtzehnten, vielleicht sogar dem neunzehnten Jahrhundert. Was bedeutet, daß einer von denen eine Bifokalbrille getragen haben könnte.«
»Ich weiß nicht. Die Linse sieht sehr präzise geschliffen aus…«
»Was nicht heißen muß, daß sie neu ist«, erwiderte Stern. »Gute Schleiftechniken gibt es seit zweihundert Jahren. Ich werde diese Linse einem Optikspezialisten in New Have n schicken, damit der sie untersucht. Und ich habe Elsie gebeten, sich sofort an die Öltuchdokumente zu machen und nachzuschauen, ob sie dort irgendwas Ungewöhnliches entdeckt. Aber ich glaube, vorerst können wir uns alle wieder entspannen.«
»Das ist eine gute Nachricht«, sagte Marek grinsend.
»Ich dachte mir, daß du es wissen willst. Dann bis zum Abendessen.«
Zum Abendessen trafen sie sich auf dem alten Marktplatz von Domme, einem Dorf auf einer Anhöhe, wenige Kilometer von ihrer Grabungsstätte entfernt. Als die Nacht hereinbrach, hatte Chris, der den ganzen Tag mürrisch gewesen war, seine schlechte Laune überwunden und freute sich aufs Abendessen. Er fragte sich, ob Marek etwas vom Professor gehört hatte, und wenn nicht, was er deswegen unternehmen wollte. Er hatte eine unbestimmte Vorahnung.
Seine gute Laune schwand dahin, als er im Restaurant ankam und die beiden Börsenmaklerpärchen wieder an ihrem Tisch fand. Anscheinend hatte man sie für einen zweiten Abend eingeladen. Chris wollte gleich wieder kehrtmachen, doch Kate stand auf, legte den Arm um ihn und schob ihn zum Tisch.
»Lieber nicht«, sagte er leise. »Ich kann diese Leute nicht ausstehen.« Aber sie umarmte ihn kurz und drückte ihn auf einen Stuhl. Er sah, daß an diesem Abend offensichtlich die Börsenmakler den Wein bezahlten — Chateau Lafite-Rothschild, über zweitausend Francs die Flasche.
Ach, was soll's, dachte er.
»Was für ein bezauberndes Städtchen«, sagte eine der Frauen. »Wir haben uns heute die Mauern angeschaut, die außen herumlaufen. Die sind ziemlich lang. Und hoch. Und dieses hübsche Tor, durch das man in die Stadt kommt, das mit den runden Türmen auf jeder Seite.«
Kate nickte. »Es ist nur irgendwie witzig«, sagte sie, »daß viele von den Dörfern, die wir heute so bezaubernd finden, im Grunde genommen die Einkaufszentren des vierzehnten Jahrhunderts waren.«
»Einkaufszentren? Wie meinst du das?«
In diesem Augenblick fing Mareks Funkgerät, das er sich an den Gürtel gehakt hatte, an zu knistern.
»André? Bist du dran?«
Es war Elsie. Sie ging nie mit den anderen zum Abendessen, sondern arbeitete bis spät in die Nacht an ihrer Katalogisierung. Marek griff nach dem Apparat. »Ja, Elsie.«
»Ich habe hier gerade was sehr Komisches gefunden.«
»Ja…«
»Würdest du David sagen, er soll herkommen? Ich brauche seine Hilfe bei einem Test. Aber eins kann ich euch jetzt schon
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