Timm Thaler
Sonntagshose.
Der karierte Herr stand am Eingang der Rennbahn. Doch obwohl
das erste Rennen schon lief, war er nicht im geringsten ungeduldig oder aufgeregt. Er war heute die Freundlichkeit in Person. Timm
mußte sich mit ihm in den Gasthausgarten setzen, Limonade trinken und wieder Bienenstich essen. Der ganze Sonntag drehte sich um
Bienenstich.
Übrigens machte der Fremde mit dem ernstesten Gesicht von der
Welt solche Spaße, daß Timm sich vor Lachen kugelte.
Er ist doch ein netter Kerl, dachte der Junge. Ich kann jetzt
verstehen, daß mein Vater ihn mochte.
Überdies schaute der Fremde ihn mit warmen braunen Augen an,
die freundlich blickten. Wenn Timm ein schärferer Beobachter
gewesen wäre, hätte er wissen müssen, daß der Herr an den
Sonntagen zuvor kalte wasserblaue Augen wie ein Fisch gehabt
hatte. Aber Timm war kein scharfer Beobachter. Das Leben sollte
ihn erst lehren, einer zu werden.
Endlich begann der karierte Herr vom Geschäft zu reden. „Mein
lieber Timm“, fing er an, „ich biete dir Geld, soviel du willst! Ich kann es dir nicht in klingender Münze auf den Tisch zählen. Aber ich kann dir die Fähigkeit verleihen, jede Wette zu gewinnen! Jede,
verstehst du?“
Timm nickte beklommen, hörte aber genau zu.
„Natürlich verleihe ich dir diese Fähigkeit nicht umsonst, das
wirst du verstehen! Solch eine Fähigkeit hat ihren Wert!“
Wieder ein Kopfnicken. Und dann Timms erregte Frage: „Was
verlangen Sie?“
Einen Augenblick zögerte der Fremde und sah Timm
nachdenklich an. „Was ich ver – lan – ge, möch – test du wis – sen?“
Er zerdehnte die Worte wie Kaugummi. Aber dann überstürzten sich
die Worte so, daß man sie kaum verstehen konnte: „…
chvrlangedeinlchendfür!“
Der Fremde merkte wohl, daß er zu schnell und zu unverständlich
gesprochen hatte. So wiederholte er den Satz: „Ich verlange dein
Lachen dafür!“
„Mehr nicht?“ fragte Timm lachend.
Aber als die braunen Augen ihn merkwürdig, fast traurig ansahen,
verstummte das Lachen ohne den gewöhnlichen Schlußschlucker.
„Also?“ fragte der karierte Herr. „Einverstanden?“
Timms Blick fiel zufällig auf den Bienenstich auf seinem Teller.
Er mußte an Frau Bebber und an die Schulden und an all die Dinge
denken, die er mit dem vielen Geld kaufen konnte. Und er sagte:
„Wenn das ein richtiges Geschäft ist, bin ich einverstanden!“
„Schön, Junge, dann wäre noch ein Vertrag zu unterschreiben!“
Der karierte Herr zog ein Papier aus der Brusttasche, faltete es
auseinander, legte es vor Timm auf den Tisch und sagte: „Lies ihn genau durch!“
Und Timm las:
1. Dieser Vertrag wird zwischen Herrn L. Lefuet einerseits und Herrn Timm Thaler andererseits am …… in …… geschlossen und in zwei gleichlautenden Exemplaren von beiden Parteien
unterschrieben.
„Was heißt Parteien?“ fragte Timm.
„So werden die beiden Partner in Verträgen genannt!“
„Aha!“
Timm las weiter:
2. Herr Timm Thaler vermacht hiermit Herrn L. Lefuet sein Lachen zu beliebigem Gebrauche.
Als Timm zum zweiten Male die Worte „Herr Timm Thaler“
gelesen hatte, kam er sich beinahe erwachsen vor. Schon dieser drei Worte wegen war er bereit, den Vertrag zu unterschreiben. Er ahnte nicht, wie dieser kleine Punkt zwei sein ganzes Leben verändern
sollte.
Er las weiter.
3. Als Entgelt für das Lachen verpflichtet sich Herr L. Lefuet, dafür zu sorgen, daß Herr Timm Thaler jede Wette gewinnt. Dies gilt ohne Einschränkung.
Timms Herz schlug höher. Weiter:
4. Beide Parteien sind verpflichtet, über diese Abmachung vollstes Stillschweigen zu bewahren.
Timm nickte vor sich hin.
5. Für den Fall, daß eine der beiden Parteien Dritten gegenüber diese Abmachung erwähnt und die im Punkt 4 festgelegte
Verpflichtung zum Stillschweigen bricht, bleibt die andere Partei im Genüsse der Fähigkeit a) zu lachen oder b) Wetten zu gewinnen, während die schuldige Partei die Fähigkeit a) zu lachen oder b) Wetten zu gewinnen, in vollem Umfange verliert.
„Das habe ich nicht verstanden“, sagte Timm stirnrunzelnd.
Herr L. Lefuet – jetzt wissen wir endlich seinen Namen – erklärte es ihm: „Schau, Timm, wenn du die Schweigepflicht brichst und
irgend jemandem von dieser Abmachung erzählst, verlierst du die
Fähigkeit, Wetten zu gewinnen, aber dein Lachen bekommst du auch
nicht zurück. Wenn es umgekehrt ist und ich rede darüber, dann
bekommst du dein Lachen zurück und
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