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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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bekam
    Timm eine dürre, mausgesichtige Stiefmutter und dazu einen
    Pflegebruder, der frech, verwöhnt und käsebleich war.
    Timm war trotz seiner drei Jahre schon ein kräftiger kleiner
    Bursche, der besonders hübsch lachte und der einen Ozeandampfer
    aus Küchenstühlen oder ein Auto aus Sofakissen ganz selbständig
    regieren konnte. Seine verstorbene Mutter hatte Tränen gelacht,
    wenn Timm mit Kissen und Stühlen seine großen Reisen zu Wasser
    und zu Lande unternahm und immerzu „tuff, tuff, tuff, Ameerika“
    rief. Aber seine Stiefmutter prügelte ihn dafür. Und das konnte er nicht begreifen.
    Audi den Stiefbruder Erwin begriff er schwer; denn der bewies
    seine brüderliche Liebe dadurch, daß er den kleinen Timm mit
    Brennholz bewarf oder daß er ihn mit Ruß oder Tinte oder
    Pflaumenmus beschmierte. Das Allerunbegreiflichste aber war, daß
    hinterher nicht Erwin, sondern Timm dafür bestraft wurde. Über all diesen Unbegreiflichkeiten in der Gassenwohnung verlernte Timm
    beinahe das Lachen. Nur wenn der Vater zu Hause war, ertönte noch sein kleines drolliges Gelächter mit dem Schlucker am Schluß.
    Leider war der Vater jetzt meistens unterwegs, weil er auf einem
    weit entfernten Bau Arbeit gefunden hatte. (Vor allem deshalb,
    damit Timm nicht allein war, hatte er ja ein zweites Mal geheiratet.) Nur sonntags war er noch mit seinem Söhnchen zusammen. Dann
    nahm er den kleinen Timm bei der Hand und sagte zu der
    Stiefmutter: „Wir gehen spazieren.“ In Wirklichkeit ging er aber zur Pferderennbahn, wo er mit dem bißchen Geld, das er sich heimlich
    erspart hatte, auf Pferde wettete. Er hoffte, dabei eines Tages so viel Geld zu gewinnen, daß er mit seiner Familie die enge Gasse
    verlassen und wieder in eine hellere Wohnung ziehen könne.
    Natürlich war seine Hoffnung auf Wettglück vergeblich – wie bei
    den meisten Menschen. Er verlor beinahe regelmäßig, und wenn er
    doch einmal gewann, dann reichte der Gewinn knapp für ein paar
    Leckereien und ein Sonntagsbier und eine Straßenbahnfahrt.
    Der kleine Timm hatte am Wettkampf der Pferde und Reiter
    wenig Vergnügen. Das alles war so weit von ihm entfernt und
    brauste viel zu schnell an ihm vorbei. Obendrein standen immer viel zu viele Menschen vor ihnen, so daß der Junge selbst von der
    Schulter des Vaters aus Mühe hatte, die Rennbahn zu überblicken.
    Aber wenn Timm sich um die Pferde und die Reiter auch nicht
    kümmerte, so begriff er doch sehr bald, was es mit den Wetten auf sich hatte: Fuhren sie mit der Straßenbahn in die Stadt zurück und er bekam eine Rolle Drops, dann hatte der Vater gewonnen. Setzte der Vater ihn hingegen auf die Schulter und sie gingen ohne Drops und zu Fuß nach Haus, dann hatten sie verloren.
    Aber ob sie verloren oder gewannen, war dem Jungen ganz egal.
    Er fand es auf den Schultern des Vaters genau so lustig wie in der Straßenbahn, eigentlich sogar noch lustiger.
    Und die Hauptsache war, daß sie allein waren und daß Sonntag
    war und daß Erwin und die Stiefmutter weit, weit fort waren, als ob es sie überhaupt nicht gäbe.
    Aber an sechs Wochentagen gab es die beiden leider doch. Dann
    ging es Timm genau so wie den Kindern in den Märchen, die
    schlimme Stiefmütter haben. Nur war es für Timm noch ein bißchen
    schlimmer; denn ein Märchen ist ein Märchen, das auf Seite eins
    beginnt und spätestens auf Seite zwölf zu Ende ist. Aber so eine
    tägliche Plackerei, und obendrein jahrelang, die will durchgestanden sein. Wenn es die Sonntage nicht gegeben hätte, dann wäre Timm
    aus lauter Trotz wahrscheinlich ein richtiger frecher Rotzjunge
    geworden. Doch weil es zum Glück die Sonntage gab, blieb er ein
    Junge, der sich freuen konnte und der sein Lachen nicht verlor, ein Lachen, das tief aus dem Bauch heraufzukommen schien und mit
    einem Schlucker endete.
    Leider war dieses Lachen selten geworden. Timm wurde
    verschlossen und stolz, ganz unglaublich stolz. So setzte er sich gegen die Stiefmutter zur Wehr, die sich bei ihm über die geringste Kleinigkeit giftete, wenn sie es manchmal auch nicht so böse meinte.
    Als Timm zur Schule kam, freute er sich. Hier war er von früh bis Mittag weit von seiner Gasse entfernt, viel weiter als die paar
    hundert Meter, die die Entfernung in Wirklichkeit betrug. Hier fing er im ersten Schuljahr auch wieder vergnügt zu lachen an; und das versöhnte die Lehrer mit manchen kleinen Sünden des Jungen. Timm
    bemühte sich jetzt sogar, seiner Stiefmutter zu gefallen. Wenn sie ihn

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