Timm Thaler
Lupe. Das haben wir als
Schulmädchen nämlich tagelang geübt. Da war ich immer perfekt in.
Hab mal’n ganzen Roman auf die zwei Seit’n von ein’ Briefbogen
gekritzelt. Wirklich wahr!“
„Ischa nich möööglich!“ lachte Timm.
„Ach, du nimmst mich ja nich ernst, du Bengel!“
Es läutete an der Haustür, und Frau Rickert bat Timm,
nachzusehen, wer es sei. Es war der rothaarige Page des Hotels, der schwitzend zwischen sieben Koffern stand.
„Ich soll Ihnen Ihre Sachen bringen, Herr Thaler!“ grinste er.
„Gestern haben Sie mich noch Mister Brown genannt. Woher
wissen Sie heute, wer ich bin?“
Wieder ein Grinsen: „Sie lesen wohl keine Zeitungen?“
„Ach so!“ Timm war etwas verwirrt. Dann wollte er in die Tasche
greifen. Aber der Rotschopf winkte ab. „Behalten Sie ruhig Ihre
Kröten für sich, Herr Thaler! Ich kann von der Zeitung ‘n Batzen
Geld kriegen, wenn ich erzähl’, wie ich gestern abend den Detektiv weggeködert hab’. Darf ich?“
Timm mußte lachen. „Tu, was du nicht lassen kannst!“
„Verbindlichsten Dank! Soll ich die Koffer noch reintragen?“
„Danke! Das mach’ ich schon! Erzähl der Zeitung aber keine
Hintertreppenromane!“
„Ist ja gar nicht nötig. Die Sache war auch so spannend genug.“
Er streckte wieder die Hand hin. „Weiterbin viel Glück, Timm!“
„Danke! Viel Glück bei der Zeitung!“
Zwischen den sanften steinernen Löwen gaben zwei lachende
Bengel einander die Hand. Dann brauste der Rotschopf in einem
Wagen des Hotels wieder davon, und Timm trug die Koffer ins
Haus.
Noch am selben Tage begab sich Timm mit Jonny, Kreschimir
und Herrn Rickert zu einem Notar, mit dem die alte Frau Rickert
befreundet war. Dort wurde die Reederei Hamburg-Helgoland-
Gästedienst, genannt HHD, zu gleichen Teilen Jonny, Kreschimir
und Herrn Rickert überschrieben. Zwar war die Überschreibung
nicht sogleich rechtskräftig, weil noch eine Menge anderer
Formalitäten notwendig waren (Timm war nicht mehr der
millionenschwere Erbe); aber in spätestens vierzehn Tagen, sagte der Notar, sei alles erledigt.
Timms Freunde hatten sich zuerst mächtig gesträubt gegen diese
Schenkung; aber als Timm erklärte, dann werde er die Reederei eben jemand anders schenken, gaben sie nach. Und gar nicht einmal so
ungern. Herr Rickert war noch frisch und kräftig genug, um das
Kontor des alten Herrn Denker an der Brücke sechs zu übernehmen;
und Jonny und Kreschimir waren auf eigenen Dampf ern doppelt so
gern Steuermann und Steward wie auf fremden.
Als die vier das Notariat verließen (es lag in der Nähe des
Hauptbahnhofs), fragte Jonny: „Was willst du denn jetzt anfangen, Timm?“
Der Junge zeigte nach rechts: „In dem alten Haus dort gibt es ein Marionettentheater. Es gehört mir. Ich werde daraus ein
Wandertheater machen.“
„Dazu brauchst du einen Omnibus“, sagte Kreschimir.
„Und eine transportable Bühne“, ergänzte Jonny.
„Und das“, schloß Herr Rickert, „bezahlen wir dir, mein Junge!
Keine Widerrede! Sonst hast du die Reederei wieder am Hals!“
„Angenommen!“ lachte Timm. Ernst fügte er hinzu: „Wie gut für
mich, daß es euch drei gibt!“
„Und Selek Bei“, sagte Herr Rickert.
„Ja“, bestätigte Timm. „Und Selek Bei. Ich sollte ihm eigentlich
ein Telegramm schicken.“ Und das tat er.
Der alte Mann in Mesopotamien lächelte, als er es las:
zum teufel mit der margarine stop lachen bekommt man gratis
stop ich habe es bekommen stop für mithilfe dankt herzlich ihr timm thaler
An diesem Tage ging eine Geschichte zu Ende, die in den
Berichten der Zeitungen erst begann (soweit die Journalisten sie
begriffen; und die meisten begriffen sie nicht).
Herr Rickert wurde wieder Reedereidirektor, Jonny Steuermann
und Kreschimir Steward.
Vom Baron Lefuet hört man nur noch selten. Er soll die meiste
Zeit allein und grämlich auf seinem Schloß in Mesopotamien
verbringen. Er scheint menschenscheu geworden zu sein; aber noch
macht er glänzende Geschäfte.
Die Nachrichten über Timm sind spärlich. Sicher ist, daß er sich
mit der alten Frau Rickert zusammen ein Marionettenspiel
ausdachte, welches „Das verkaufte Lachen“ hieß. Danach
verschwand er aus Hamburg; und kein Reporter erfuhr jemals, wohin es ihn verschlagen hat.
Aber es gibt noch zwei Spuren Timms. Auf dem Friedhof einer
mitteldeutschen Großstadt wurde zu Füßen eines Marmorgrabsteins
ein Kranz niedergelegt, auf dessen Schleife man
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