Timm Thaler
nicht
ausdrücklich verboten ist. Ich gebe zu, daß es auch nicht
ausdrücklich erlaubt ist; aber immerhin gestattet man es. Also,
Timm, wie denkst du über meinen Vorschlag?“
„Ich kenne Sie ja gar nicht“, sagte Timm leise. (Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Herr ihn mit seinem Vornamen angeredet hatte.)
„Aber ich weiß sehr viel von dir“, erklärte der Fremde. „Ich
kannte deinen Vater.“
Das gab den Ausschlag. Zwar konnte der Junge sich schwer
vorstellen, daß sein Vater mit einem so merkwürdigen feinen Herrn Umgang gehabt hatte; aber da der Fremde Timms Namen wußte,
mußte er wohl in irgendeiner Form mit dem Vater bekannt gewesen
sein.
Nach kurzem Zögern nahm Timm den ausgefüllten Wettschein
an, holte das Fünfmarkstück aus seiner Tasche und ging zum
Schalter. Das zweite Rennen wurde gerade durch Lautsprecher
angekündigt. Deshalb rief der Fremde: „Mach schnell, ehe der
Schalter geschlossen wird. Du wirst sehen, ich bringe dir Glück!“
Der Junge gab dem Fräulein am Schalter Geld und Schein und
bekam einen Wettabschnitt zurück. Als er sich wieder dem
unbekannten Herrn zuwenden wollte, war der verschwunden.
Das zweite Rennen begann, und das Pferd, auf das Timm gesetzt
hatte, gewann mit fünf Längen Vorsprung. Der Junge erhielt am
Schalter so viele Geldscheine, wie er sie noch nie auf einem Haufen gesehen hatte. Wieder wurde er abwechselnd blaß und rot. Aber
diesmal vor Freude und Stolz. Strahlend zeigte er jedermann seinen Gewinn.
Aber es ist merkwürdig, wie nah Freude und Traurigkeit
beieinander wohnen. Plötzlich mußte Timm wieder an seinen Vater
denken, den sie heute begraben hatten und der niemals so viel Geld gewonnen hatte. Die Augen des Jungen wurden feucht, und gegen
seinen Willen begann er vor allen Leuten zu weinen.
„He, Kleiner, wenn man so viel Glück hat wie du, dann weint
man doch nicht“, sagte plötzlich eine Stimme neben ihm. Es war
eine kehlige knarrende Männerstimme.
Durch einen Schleier von Tränen sah Timm einen Mann mit
einem zerknitterten Gesicht und einem ebenso zerknitterten Anzug.
Links neben dem Mann sah ein langaufgeschossener rothaariger
Bursche auf Timm herunter. Rechts stand ein kleiner feingekleideter Herr mit einer Glatze, der den Jungen teilnahmsvoll musterte.
Die Männer schienen zusammenzugehören; denn alle drei fragten
fast gleichzeitig, ob er nicht mit ihnen zusammen eine Limonade
trinken wolle, um sein Wettglück zu feiern.
Timm, dem die Freundlichkeiten und die glücklichen Umstände
gerade an diesem Sonntag ganz unerwartet kamen, nickte, schluckte noch einmal und sagte dann: „Ich möchte dahinten im Garten
sitzen!“ Dort hatte er nämlich oft mit seinem Vater zusammen
Limonade getrunken.
Die drei Männer sagten: „Gut, Junge, gehen wir in den Garten“,
und setzten sich mit Timm in den Schatten einer dicken alten
Kastanie.
Der Fremde, dem der Junge sein Wettglück verdankte, zeigte sich
nicht mehr. Und Timm vergaß ihn bald; denn die drei Männer am
Tisch, die für sich selbst Bier und für den Jungen Waldmeister-
Limonade bestellt hatten, munterten den glücklichen Gewinner mit
den erstaunlichsten Spaßen auf. Der lange Rothaarige balancierte ein Glas Bier auf der Nase, ohne daß ein Tropfen verschüttet wurde; der Mann mit dem zerknitterten Gesicht und dem zerknitterten Anzug
zog aus einem Kartenspiel immer genau die Karte heraus, die Timm
aufs Geratewohl nannte; und der kleine Herr mit der Glatze machte Zauberkunststücke mit Timms Geldscheinen. Er wickelte sie in ein
Taschentuch, knüllte das Tuch fest zusammen, faltete es wieder
auseinander, und da – war das Geld verschwunden.
Der Glatzkopf kicherte und sagte: „Greif mal in deine linke
Rocktasche, Junge!“ Timm tat es und fand dort zu seinem Erstaunen das ganze Geld wieder.
Dies war wirklich ein merkwürdiger Sonntag. Noch um zwei Uhr
war Timm grenzenlos unglücklich durch die Stadt geirrt, und jetzt, um fünf Uhr nachmittags, lachte er so oft und so herzlich wie selten in der letzten Zeit. Mehrere Male verschluckte er sich sogar vor
Lachen. Seine drei neuen Freunde gefielen ihm ungemein. Er war
sehr stolz, drei erwachsene Bekannte gefunden zu haben, die
überdies lauter seltene Berufe ausübten. Der zerknitterte Mann war ein Gelddrucker, der Rothaarige war Fachmann für Handtaschen,
und der Glatzkopf nannte sich Buchmacher oder Büchermacher;
Timm hatte das nicht so genau verstanden.
Als er beim Kellner großspurig die
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