Timm Thalers Puppen
Gedanken an den
Jungen; denn einmal hatte ja ein Junge, der Timm Thaler hieß, sein Lachen wirklich verkauft – verkauft an einen Baron, an den Baron, der in Venedig war, den seltsam wandelbaren, immer leicht gereizten. Vielleicht suchte der wieder nach einem Lachen; und möglich, daß ihm wieder nur der dumme Trick einfiel, auf den ein Junge namens Timm Thaler
hereingefallen war: durch Wettgewinne, auch durch
ausgefallene, ein Lachen zu ködern.
Timm aber war, was seinen Sohn anging, erstaunlich
unbesorgt. Trotzdem rief er, weil ich ihn darum bat, von meinem Hotel aus bei Krescho an, den er zum Glück auch in dem Bungalow erreichte. Ich sah Timm ängstlich an, als er telefonierte. Doch sein Gesicht blieb ruhig. Einmal lachte er sogar. Als er den Hörer endlich wieder in die Gabel legte, fragte ich ungeduldig: »Ist etwas passiert?«
»Krescho hat mit jemand beim Tennis gewettet, daß er gewinnt«, sagte Timm.
»Mit wem?«
»Mit einem ihm bis dato unbekannten Tennisspieler.«
»Und Krescho hat die Wette und das Spiel gewonnen?«
»Ja.«
»Und worum…«, ich schluckte, weil mein Hals ein bißchen trocken war, »… und worum ging die Wette?«
»Darum…«, Timm lachte, »… wer sich von den beiden
nach dem Spiel zuerst unter die Dusche stellen durfte.«
Ich atmete hörbar aus und sagte: »Das ging noch mal gut.
Aber du solltest für den Krescho auf der Hut sein.«
Timm Thaler versprach es mir. »In diesen Tagen, die wir jetzt noch hier sein werden«, sagte er, »werd ich ein bißchen mehr als sonst auf meinen Jungen achten. Besser ist besser.
Und nun sag mir: Was hast du morgen vor?«
»Gebucht habe ich eine Fahrt zu den Glasbläsern von
Murano«, sagte ich. »Aber falls ihr mir etwas Interessanteres anzubieten habt…«
»Murano«, unterbrach mich Timm, »steht auch auf unserem Programm. Wir schließen uns dir an. Ob das noch geht?«
»Wahrscheinlich«, sagte ich. Wir gingen zum Portier
meines Hotels und konnten für Timm Thaler und für Krescho noch zwei Passagen nach Murano buchen.
Dann brachte ich Timm an den Dampfer und setzte mich danach in ein kleines Cafe, um Notizen zu machen. Kein rotweiß geringelter Tourist, kein runder Amerikaner, auch kein Franzose störte mich dabei.
Doch als ich ins Hotel zurückkam, lag in meinem
Schlüsselfach ein Kärtchen. Mit rotem Filzstift stand darauf geschrieben: »Leute, die schweigen können, leben gut. Leute, die schreiben müssen, kriegen Schwierigkeiten. B. L.«
Ganz kurz befiel mich Angst. Dann lachte ich, zerriß das Kärtchen und warf es in den Papierkorb, in den ausgehöhlten Kopf einer alten römischen Säule.
DER ZWEIUNDSECHZIGSTE TAG, AN DEM WIR ÜBER DIE
LAGUNE NORDWÄRTS FAHREN UND DIE INSEL MURANO
BESUCHEN, AM UFER DES CANAL GRANDE VON MURANO
EINE SCHNAPSGESCHICHTE HÖREN, DEN GLASBLÄSERN BEI IHRER ARBEIT ZUGUCKEN, EIN WENIG GLAS KAUFEN UND
DURCH DIE SÜDLICHE LAGUNE IN DIE ADRIA FAHREN, WO
WIR DIE TRAURIGE GESCHICHTE EINER ALTEN TANTE
HÖREN. LASST UNS AN LAND VON DEM BARON EIN STÜCK
DES WEGS BEGLEITEN UND SCHLIESSLICH ZU GEBRATENEN
TÄUBCHEN ROTWEIN TRINKEN.
Das Hotel, in dem ich in Venedig wohnte, das »Saturnia«, das seinen Namen hat vom Gott Saturn, nach dem ein
goldenes Zeitalter benannt ist, dieses Hotel »Saturnia« hat nach hinten hinaus einen Ausgang zu einem Kanal. Hier schaukelte am nächsten Tag, an einem Wolkentag, an dem es schon am Morgen schwül und stickig war, ein offenes
Motorboot auf dem dunklen Wasser.
In diesem Boot, das vor dem Steuerruder eine
Windschutzscheibe hatte, fuhr ich mit Timm und Krescho, die früh in mein Hotel gekommen waren, zur Insel Murano im Norden jener Lagune, in der Venedig groß geworden ist.
Am Steuer des Motorboots stand ein schlanker junger Mann mit blau-weiß geringeltem Pulli und schwarzer Hose, der um den Hals ein rotes Tuch und schräg auf seinem Kopf einen Strohhut trug. Er erzählte uns, als wir uns mit gedrosseltem Motor durch die Kanäle schlängelten, die faulig-säuerlich rochen, er sei von Murano gebürtig und komme aus einer alten Glasbläserfamilie. Er selbst hätte aber keine Lust, Gläser zu blasen. Er wäre Seemann, sagte er, im Augenblick auf Landurlaub daheim, wo er sich durch Motorbootfahrten ein bißchen Geld dazuverdiene. Dann schwieg er, weil uns ein Konvoi von schwerbeladenen Lastgondeln entgegenkam,
beladen mit Früchten in Kisten und riesigen Säcken, die unser Boot zur Seite drängten.
Timm nutzte die Gelegenheit, um seinem Sohn zu
Weitere Kostenlose Bücher