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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Krüss
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erklären, daß jener Ort, zu dem wir fuhren, die Insel Murano, schon seit Jahrhunderten kostbares Glas herstelle. Doch Krescho sagte, das wäre ihm bekannt. Es stünde ja im Führer von Venedig. Er wisse sogar, daß man dort neuerdings auch Wegwerfglas herstelle.
    »Wegwerfglas?« fragten Timm und ich gleichzeitig,
    während unser Motorboot mit leise tuckerndem Motor am Rand des Kanals schaukelte und die Lastgondeln uns, eine nach der anderen, passierten. »Wegwerfglas?« fragten wir.
    Krescho antwortete: »Ja, Wegwerf glas, zum Beispiel
    Weinflaschen, die weggeworfen werden, wenn sie leer sind.«
    »Und wer nennt solche Flaschen Wegwerf glas?« fragte Timm.
    »So heißt es in der Werbung«, sagte Krescho. »Belebt den Kreislauf des Konsums! Benutzt das Wegwerf glas! So heißt es, glaub ich.«
    »Ein treffendes Wort für eine üble Angewohnheit«, sagte Timm. »In einem meiner geplanten Stücke kommt auch so ein Wegwerf glas vor. Aber jetzt geht es weiter. Gott sei Dank.
    Die Luft ist ja zum Schneiden.«
    Die Lastgondeln hatten uns endlich passiert. Unser
    Motorboot fuhr mit wieder aufgedrehtem Motor weiter.
    Bei dieser Weiterfahrt blickte ich auf die
    Windschutzscheibe vor dem Steuerruder, in der ich Kreschos Gesicht im Profil gespiegelt sah. Ich sah es so, wie ich den Rücken des Bootsfahrers sah oder die Häuserwände, die sich an uns vorbeischoben. Ich sah es nicht gleichgültig, aber auch nicht aufmerksam. Plötzlich jedoch blickte ich schärfer hin und sah: Das war ja das Gesicht, das ich am Zugfenster gesehen hatte – während der Zugfahrt von Verona nach Venedig. Es gab nicht den geringsten Zweifel: Kreschos Gesicht war das Gesicht vom Zugfenster.
    Da Timm jetzt mit dem Bootsfahrer palaverte, sehr schnell und im venezianischen Dialekt, fragte ich Krescho halblaut:
    »Bist du vor drei Tagen von Verona nach Venedig gefahren?«
    Krescho überlegte, während wir gerade nach links in einen anderen Kanal einbogen, und sagte dann: »Ja, das war vor drei Tagen. Ich hab mir in Verona ein Marionettenspiel angeguckt.
    Mein Vater ist nicht mitgekommen. Er kannte die Aufführung schon. Darum bin ich allein gefahren.«
    »Und ich hab dich am Zugfenster gesehen«, sagte ich, »von einem anderen Zug aus, den ihr überholt habt. Ein Herr mit Sonnenbrille saß dir gegenüber. Stimmt’s?«
    Ich war gespannt auf Kreschos Antwort. Der Junge aber runzelte zunächst die Stirn und dachte nach. Erst nach einer Weile, mit wieder glatter Stirn, sagte er: »Ja, da kam ein Herr mit einer Sonnenbrille in mein Abteil. Ich hab auch irgendwas mit ihm gesprochen.«
    »Über das Tennisspielen?« fragte ich.
    »Ja«, sagte Krescho und sah mich erstaunt an. »Über das Tennisspielen haben wir gesprochen. Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe es an den Handbewegungen des Herrn erkannt«, sagte ich schnell. »Habt ihr irgend etwas ausgemacht?«
    »Nein«, sagte Krescho, wieder nachdenkend, »wir haben nichts ausgemacht, obwohl der Herr das eigentlich wollte. Ich war aber zu müde. Ich habe gar nicht richtig hingehört. Und plötzlich war der Herr dann wieder weg.«
    »Ich habe ihn verschwinden sehen«, sagte ich und nickte.
    »Ganz zufällig, gerade als euer Zug den meinen überholte.«
    »Das ist ja seltsam«, sagte Krescho und wollte, schien’s, noch etwas sagen. Aber wir fuhren nun ins offene Wasser der Lagune hinein, und hier fragte der Bootsfahrer, der sich gerade eine Sonnenbrille aufsetzte, ob wir gleich zu den Glasbläsern oder erst durch Murano spazierenfahren wollten.
    Timm war dafür, zuerst Murano zu durchfahren, und
    Krescho und ich hatten nichts dagegen einzuwenden.
    Wir fuhren also zuerst über das offene Wasser der Lagune, das trag und bleiern unter dem Wolkenhimmel lag, und dann in den Canal Grande von Murano hinein.
    Diesen Kanal, der schmaler ist als jener von Venedig, säumen meist zweistöckige Häuser, gelb, rot oder weiß angestrichen, vor denen es, im Gegensatz zum Canal Grande von Venedig, Straßen gibt. Als wir hineinfuhren in die farbige Spiegelung der Häuser, lagen zu beiden Seiten an den Ufermauern breite, schwarze, offene Kähne. Wir fuhren ruhig zwischen ihnen hindurch. Die Luft war hier zwar besser als in der Stadt, doch drückend war sie auch hier.
    »Gut, daß wir Venedig heute verlassen haben«, sagte ich.
    »Bei diesem Wetter… «
    Ich redete nicht weiter; denn unser Motorboot fing zu schaukeln an. Der Bootsfahrer, dem man vom Ufer aufgeregt von beiden Seiten etwas zurief, hatte die Hände in die Luft

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