Timm Thalers Puppen
jüngsten aus unseren Tagen. Er führte sie auch zu den Glasbläsern, die ihre Blasrohre in eine rotglühende Masse tunken und mit ein bißchen Luft die seltsamsten Gebilde daraus blasen. Er führte sie schließlich in eine Glasfabrik, in der die Flaschen für Misposegeist, von einem berühmten Glaskünstler entworfen, sorgfältig, wenn auch nur in Serie, hergestellt wurden.
»Jetzt weiß ich also«, sagte Cari, als sie Murano wieder verließen, »welch feines Glas benötigt wird für unseren Misposegeist.«
»Für die Umhüllung, Cari«, verbesserte Onkel Eduard ihn,
»nur für die Umhüllung.«
Bald darauf stiegen sie am Bahnhof von Venedig wieder aus dem Wassertaxi aus, nahmen sich ein Taxi auf Rädern, fuhren zum Flugplatz und bestiegen hier ein Flugzeug, das sie zu einer Insel vor der Küste Afrikas trug.
Ein warmer weicher Wind vom Meer empfing sie auf der Insel, dazu ein junger Mann namens Paquito, der eine Leinenhose, ein Polohemd und Segeltuchschuhe trug. Er war so braun wie die Erde der Insel, die man vom Flugplatz aus sah.
Der junge Mann fuhr sie in einem alten Auto in
halsbrecherischem Tempo über die Insel, am Rande tiefer Schluchten entlang, durch Palmenhaine und Olivengärten, bis sie in einem engen Tale waren, das links und rechts am Fuße steil ansteigender Hänge Gärten hatte, Gärten mit Mispel- und Aprikosenbäumen. Die Gärten zogen sich endlos am Rande der Straße hin.
Vier Ehepaare genügten, die Gärten zu pflegen, sagte der junge Mann. Nur zur Zeit der Ernte müßte man Pflücker anheuern. Dann mußten Onkel Eduard und Cari die Früchte probieren, die runden, schon rot überhauchten süßen
Aprikosen und die länglichen kleineren gelb-bräunlichen Mispeln, die süßsauer schmecken.
Als die beiden Reisenden einige Tage später wieder von der Insel fortflogen – sie hatten an ihren Stränden noch im warmen Meer gebadet –, sagte Cari: »Jetzt weiß ich also, wo die Früchte wachsen, aus denen unser Misposegeist gewonnen wird.«
»Und wie man aus den Früchten Branntwein brennt, das«, sagte Onkel Eduard, »weißt du ja.«
Nach einem schönen Flug durch einen blauen Himmel
landeten die beiden dort, wo sie ihre Reise begonnen hatten.
Fred, der Privatchauffeur des Hauses Düncker, holte sie ab und fuhr sie heim.
Es war gerade Mülltag, als sie vor dem Elternhause Caris ankamen. Vor allen Zäunen standen gefüllte Mülltonnen. Und vor den Mülltonnen des Nachbarhauses stand Albert, der Dienerchauffeur. Er war damit beschäftigt, grünliches Seidenpapier, eine gedrungene grünliche Flasche und ein Heftchen aus feinstem Büttenpapier, bedruckt mit
altmodischen Buchstaben, in den buntlackierten Karton des Misposegeistes zu stopfen. Als ihm dies auch gelungen war, schloß er den Karton sorgfältig, öffnete den Deckel einer Mülltonne, ließ den Karton hineinfallen, klappte den Deckel wieder zu und ging ins Haus.
Cari, der ihm stumm zugesehen hatte, dachte an die
gefällten Bäume des Herrn Widmann, an die Papiermühle und an die alte Druckerei, dachte an den roten Siegellack, den selbst der Papst gelobt hatte, und an die Insel Murano mit dem schönen Glas. Onkel Eduard aber sagte: »So plumpsen an jedem Mülltag viele hundertmal Verpackungen eures
Misposegeistes in die Tonnen. Nobel geht die Welt zugrunde.«
Dann gingen sie ins Haus, Onkel Eduard, der kein Talent für das Geschäftemachen hatte, und Cari, der Sohn und Erbe des Hauses Düncker, das den Misposegeist herstellt, den Branntwein mit der milden Reife der Subtropen.
Noch während Timm Thaler uns die Geschichte im
Motorboot erzählt hatte, war von irgendwoher aus einer Gasse Musik an unser Ohr gedrungen. Nun, als er die Geschichte beendet hatte, hörten wir deutlich, daß es Leierkastenmusik war, und Krescho rief: »Ein Leierkasten! Den muß ich sehen!«
Er stand auf, sprang ans Ufer, wodurch unser Boot leicht ins Schaukeln kam, und verschwand in derselben Gasse, in der unser Bootsfahrer verschwunden war.
Hinter mir aber hörte ich jetzt eine Stimme sagen: »Das hübsche bißchen Drumherum, Herr Thaler, das den
Misposegeist damals so beliebt gemacht hat, was sollte daran denn verwerflich sein?«
Als ich mich umdrehte, saß auf der Ufermauer ein alter Mann mit einem zerfransten Strohhut auf dem Kopf und einer altmodischen Sonnenbrille vor den Augen. Er bohrte mit dem rechten Zeigefinger in der Nase.
Timm, sich bequem zurücklehnend im Boot, antwortete:
»Der Müll, Signore, wurde zu der Zeit, als alle Welt
Weitere Kostenlose Bücher