Timm Thalers Puppen
eine elektrische Schreibmaschine oder ein Vervielfältigungsapparat sie erfordern, doch wieder nicht gut genug.
In dieser Lage, die die Familie an einem Sonntagmittag besprach, hatte Söhnchen Theo einen Einfall. Man brauche ja nicht gleich die Menschenliebe zu verkaufen, sagte er, aber vielleicht etwas Verwandtes aus der Welt des Handels, etwa das Schmerzmittel Obeliskal. »Das ist sehr billig«, sagte Theo.
»Und viele Menschen haben es oft nicht zur Hand, wenn sie es brauchen. Und gegen Schmerzen zu helfen, das hat ja auch mit der Liebe zu tun.«
Aber Joseph Köster wies das Ansinnen seines Sohnes
ebenso streng zurück wie vorher das der Buchhandlung. »Die Menschenliebe«, sagte er, »muß selbstlos sein. Ich kann zu den Versen nicht Obeliskal verkaufen.«
Aber eine Woche darauf, als nicht mehr zu übersehen war, daß die Familie Köster mit dem Gelde nicht mehr hin und her kam, wurde der Vorschlag Theos noch einmal überdacht, besprochen und dann vom Vater, »probeweise«, wie er sagte, angenommen. »Ich spreche mit dem Chef der Apotheke
darüber«, fügte er hinzu. »Von ihm will ich’s abhängig machen, ob wir auch Obeliskal anbieten sollen.«
Der Apotheker, Joseph Kösters Chef, war schon nach
kurzem Überlegen gern bereit, Obeliskal zur Verfügung zu stellen, fünfzehn Prozent Gewinn für Joseph Köster. »Man braucht es dauernd, und man hat es nie«, sagte der Apotheker.
»Obeliskal gleich an der Haustür anzubieten, das ist ein Glanzeinfall, Herr Köster.«
»Es war ein Einfall meines Sohnes, Chef«, sagte sein Angestellter.
Aber der Apotheker sagte: »Um so besser. Die jüngere Generation, Herr Köster, ist viel cleverer als wir. Sie weiß: Wer sich nicht anpaßt, der kommt um. Und hier haben Sie einen Karton mit Obeliskal. Versuchen Sie Ihr Glück.«
Das Glück, das der Apotheker mit dem billigen
Schmerzmittel wünschte, das Handelsglück, übertraf die kühnsten Erwartungen. Schon bald, noch nicht einmal nach vierzehn Tagen, war Joseph Köster nicht mehr der Sammler und Dichter der Menschenliebe, sondern »der Mann, der mit Tabletten an die Haustür kommt und dabei diese komischen Verse verschenkt«.
Der Apotheker ließ ihn bald ganztägig reisen, organisierte diesen Haustür-Handel, finanzierte Joseph Köster ein neues Auto, ließ überall verbreiten, daß der Joseph Köster selbstlos reise aufgrund einer Vision in seiner Apotheke, und verdiente daran.
Bald wurde das Tablettenangebot des Joseph Köster immer größer, und seine Verse wurden immer weniger. Er dichtete nur noch beim Autofahren und gab die Verse seiner Frau in Ruhepausen telefonisch durch. Er dichtete jetzt auch über das Geschäftsleben, etwa:
Ist wild auch das Geschäftsgetriebe: Vergesset nicht die Menschenliebe! Die Menschenliebe ist ein Schatz. Verliert ihn nicht bei eurer Hatz!
Joseph Kösters Frau schrieb die Verse auf eine Matritze, vervielfältigte sie und heftete sie zusammen, wenn genügend beisammen waren. Doch freute sie sich, wenn das nicht zu oft geschah; denn als die Frau eines erfolgreichen Vertreters hatte sie jetzt, wie sie sagte, »Wichtigeres« zu tun.
Schon ein Jahr nachdem er die Vision gehabt hatte, war Joseph Köster unversehens zu einem der wenigen
erfolgreichen Haustür-Vertreter in Köln geworden, der außer Tabletten auch ein paar ausgewählte andere Artikel anbot.
Und genau ein Jahr später, am Dienstag nach Ostern,
erinnerte Joseph Köster sich plötzlich, wenn auch nur dunkel, wieder an die Vision, die er gehabt hatte, und er beschloß, einen seiner ersten und ältesten Verbündeten im friedlichen Streite für die Menschenliebe zu besuchen, den Rentner Emil Quint.
Er beschloß das so überstürzt, man könnte beinah sagen: visionär, daß seine dicke Lederaktentasche noch weit offenstand, als er an der Tür des Rentners läutete.
Emil Quint öffnete selbst die Tür und rief, freudig erstaunt:
»Mein Gott, Herr Köster, da sind Sie ja endlich wieder! Haben Sie neue Verse? Darf ich?«
Er griff mit spitzen Fingern in die offene Aktentasche hinein und zog ein Heft aus feinstem Kunstdruckpapier daraus hervor. »Wie fein gedruckt«, sagte er dabei, und diesmal gar nicht unwirsch. Dann aber erstarrte er vor dem Bild einer Pistole, auf der in schöner Schrift geschrieben stand: WOHLSTAND SCHAFFT KRIMINALITÄT
KAUFT SELBSTSCHUTZWAFFEN
Da ließ er, mit einer leichten Bewegung des Ekels, das Heft wieder in die Aktentasche zurückfallen und sagte: »Ach, Herr Köster, Sie haben uns einmal
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