Timm Thalers Puppen
»Guckt euch in Griechenland die Scherben an. Sie liegen überall, wo sich die Menschen trafen. Dort waren Töpfe Butterbrotpapier, nicht für Getränke nur benutzt, auch für Oliven, Nüsse oder Feigen. Waren sie leer, zerschlug man sie wohl auch als Opfer.
Töpfe – gefüllt, geleert, zerschlagen für die Götter.«
»Und nach den Töpfen?« fragte Krescho. »Was kam da?«
»Metall, Glas, Pappe und Papier«, antwortete ich. »Und weil das alles Ware wurde, käuflich, entstand eine
Verpackungsindustrie. Und diese Industrie… « Ich sprach nicht weiter. Der Kies knirschte. Ein Mädchen kam ins Licht.
Es brachte, schön auf Weinblätter gelegt, gebratene Täubchen.
Krescho sprang auf und rief: »Ah, Giovanna, was für eine Überraschung!« Dann führte er das Mädchen in den Bungalow hinein.
Timm aber sagte, Giovanna mit den Täubchen auf den
Weinblättern nachblickend: »Und das ist nun die
Urverpackung: Blätter. Die gab’s schon lange, bevor man Ried und Rohr verflocht, bevor man Töpfe brannte, Glas blies und Papier aus Bütten schöpfte.«
Bald darauf, als wir uns bei dem Mädchen für die
Überraschung bedankt hatten (sie war, erfuhr ich, eine Schwester von Kreschos Tennispartner), bald darauf aßen wir zum Wein gebratene Täubchen und gingen spät, als es noch immer schwül war, schlafen. Bevor ich einschlief, setzte laut der Regen ein, und über dem Geräusch des Regens hörte ich eine entfernte Stimme sagen: »Aufschreiben sollte man das alles nicht. Sonst könnte ein Junge leicht zu Schaden kommen.«
Da fröstelte mich, obwohl ich unter einer warmen Decke lag.
DER DREIUNDSECHZIGSTE TAG, AN DEM ICH MIT TLMM
VOR EINEM GEWITTER IN EINEN LIEGESTUHLSCHUPPEN
FLÜCHTE. FÜHRT EINEN GEISTLICHEN HERRN UND EINE
GESCHICHTE VON DER VERKAUFTEN MENSCHENLIEBE UND
SPÄTER IN EINEM KLEINEN LEUCHTTURM EINE KOMISCHE
WERBEGESCHICHTE VOR.
Der nächste Tag war frisch und heiter. Der Regen hatte aufgehört, aber noch tröpfelte es überall von Blättern und von Zweigen, und am Strand, an dem ich mit Timm nach dem Frühstück einen Morgenspaziergang machte, war der Sand noch naß.
Während wir dort, hart am Wasser entlang,
spazierengingen, sagte ich Timm, daß der Baron, der uns von der Promenade her sehr förmlich gegrüßt hatte, seltsam verändert wäre. »Er ist ganz anders als zu deiner Kinderzeit«, sagte ich. »Obwohl er mir heute nacht drohte, Krescho könne zu Schaden kommen, wenn ich die Geschichten aufschreibe, zweifle ich jetzt unter dem Tageslicht, ob er tatsächlich fähig ist, Krescho zu schaden.«
»Wer Geschäfte machen will, muß mit der Mode gehen«, antwortete Timm ruhig. »Auch der Baron muß es. Damals, zu der Zeit, als ich ein Kind war, verkaufte er Margarine an arme Leute, über die er lachte. Heute verkauft er Sonne oder anderes an viel anspruchsvollere Leute. Damals spielte er den großen Herrn. Heute spielt er den Clown, weil er nervös geworden ist. Aber guck dir den Himmel an: Da kommt schon wieder Regen.«
Timm zeigte aufs Meer, über dem eine schwarze
Wolkenwand sich vorschob, die rasch auf uns zuwuchs.
»Das gibt ein Gewitter«, sagte ich. »Wohin flüchten wir?«
Wir waren bis ans Ende des Strandes gegangen, an dem keine Häuser mehr standen. Doch gab es hier einen großen Schuppen für Liegestühle. In den huschten wir durch eine halboffene Tür hinein, als die ersten Tropfen uns trafen. Nicht mehr ganz trocken, aber auch nicht eigentlich naß, retteten wir uns zu den Liegestühlen, bevor der Regen auf das Dach zu prasseln begann.
Im Schuppen roch es nach geteerter Dachpappe und
feuchtem Leinen oder Segeltuch. Erkennen konnte ich beim Eintritt zunächst nichts. Meine Augen mußten sich auf das Halbdunkel erst einstellen. Dann aber erkannte ich schmale längliche Fenster hoch oben in den Wänden, die dem
Schuppen bei dem dunklen Wetter aber nur Schummerlicht gaben, und unten an den Wänden die aufgestapelten
Liegestühle.
Wir klappten uns jeder einen Liegestuhl auf und legten uns so hinein, daß wir einander zugekehrt waren. So lauschten wir eine Weile schweigend dem Prasseln des Regens, bis wir plötzlich bemerkten, daß wir in dem Schuppen nicht allein waren. Über dem Geräusch des Regens hörten wir es hüsteln.
Wir wandten die Köpfe und sahen unweit des Eingangs
jemanden stehen. Beschienen vom Licht aus der halboffenen Tür, stand da, zur Hälfte ins Dunkel getaucht, mit rundem breitkrempigem Hut, langer Soutane und feinem weißem Streifen am Hals, ein
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