Timoken und der Trank der Unsterblichkeit
fortsetzten.
Gabar wirbelte herum und sah eine Meute dünner grüner Viridees auf sich zukriechen. Ihr feuchtes Haar hing in Strähnen an ihnen herab, die roten Augen funkelten und ihre langen Arme schlängelten sich wie glitschige Lianen.
„Kamel“, sagte einer von ihnen, „lass uns deine schweren Lasten tragen.“ Und schon griffen seine wurzelähnlichen Finger nach dem Beutel, in dem sich der Mondumhang befand. Gabar bog den Hals zurück, biss zu und zermalmte den schleimigen Arm zwischen seinen großen Zähnen. Dann trat er wild um sich, heulte, drehte und wendete sich und wühlte mit stampfenden Hufen die Erde auf.
Im Inneren des Knochenhauses konnte Timoken Gabars Gebrüll hören. Wütend und hilflos rutschte er über den Boden und kauerte sich zwischen die unzähligen Knochen. Dann schloss er die Augen und knurrte voller Mitgefühl für sein armes Kamel vor sich hin.
Doch plötzlich drang ein schwacher Schimmer durch seine Augenlider. Das Licht wurde stärker. Timoken öffnete die Augen und erblickte eine lodernde Flamme an der Mauer des Hauses. Er berührte die Wand, doch er spürte nur den kalten, harten Stein und war verwirrt.
Die Flammen breiteten sich um das gesamte Gebäude aus und kreisten es ein, sodass Timoken von einem Feuerring umgeben war. Jetzt konnte er sogar das Knistern und Zischen der Flammen hören.
„Gabar!“, schrie er. „Was geht hier vor?“
Doch statt Gabar antwortete ihm das Brüllen eines Leoparden. Nein, es waren drei Leoparden.
Mittlerweile spürte Timoken die Hitze durch die Wand und konnte die versengten Steine riechen. Das Mauerwerk begann zu bröckeln, Steine brachen heraus und polterten die Stufen vor dem Eingang hinab. Durch die Lücken sah Timoken die Bäume und Gabar, dessen große Augen vor Staunen weit aufgerissen waren. Nur die Leoparden besaßen keine richtige Gestalt. Sie bestanden aus Feuer und waren mit dem Ring aus züngelnden Flammen vereint.
Timoken trat auf die Wände ein, bis ein Loch entstand, das groß genug war, um sich hindurchzuzwängen. Das Mauerwerk war glühend heiß, doch er schaffte es, an dem Gestein vorbeizuschlüpfen, ohne sich seine Kleider zu versengen. Kaum war er draußen, brach das Gebäude in sich zusammen. Timoken sprang unter den umherfliegenden Trümmern hinweg und durchschritt unversehrt den Feuerkreis. Die Flammen erstarben in der Luft und an ihrer Stelle erschienen nun die Leoparden. Schulter an Schulter standen sie da: Sonnenkater, Flammenkinn und Stern.
„Ihr habt mir das Leben gerettet“, schnurrte Timoken in Leopardensprache.
„Wir verdanken dir unser Leben“, erwiderten die Wildkatzen.
„Geh jetzt“, sagte Sonnenkater.
„Das ist ein böser Ort“, ergänzte Flammenkinn.
„Bring dich in Sicherheit“, sagte Stern.
„Aber was ist mit euch? Wie werdet ih r …?“
„Uns kann nichts und niemand etwas anhaben“, erklärte Sonnenkater.
„Wir sind schneller als der Wind“, pflichtete ihm Flammenkinn bei.
„Wir werden immer in deiner Nähe sein“, sagte Stern.
„Und nun verlass diesen Ort!“ Das Brüllen kam von allen drei Leoparden gleichzeitig und die Dringlichkeit darin war nicht zu überhören.
Gabar war bereits in die Hocke gegangen, damit Timoken in den Sattel steigen konnte. Timoken spähte zwischen den Bäumen hindurch und suchte mit den Augen das üppige, grüne Dickicht ab. Keine Spur von den Viridees. Die Leoparden hatten sie vertriebe n – vorläufig jedenfalls. Die dunkle Wolke vor der Sonne hatte sich verzogen und das Knochenhaus war nur noch ein Schutthaufen.
Timoken kletterte behände in den Sattel und Gabar erhob sich.
„Es tut mir leid, Gabar“, begann Timoken, „abe r …“
„Ich weiß. Ich weiß. Wir müssen wieder fliegen“, erwiderte Gabar. „Ich kann’s kaum erwarten!“
Timoken konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Auch in den heikelsten Situationen schaffte Gabar es immer wieder, seine Stimmung aufzuheitern.
„Na, dann los!“ Timoken griff in Gabars zotteliges Fell und sie erhoben sich ohne die geringste Mühe in die Luft.
Als Timoken nach unten blickte, waren die Leoparden verschwunden, doch ihr Gebrüll begleitete ihn noch weit über die glänzende Wasserfläche, die unter ihnen lag. „Bring dich in Sicherheit, kleiner König! Triff deine Entscheidungen weise! Tritt immer für das Gute ein!“
Schon bald sah Timoken am fernen Horizont des großen blauen Sees eine Linie auftauchen. Als sie näher kamen, war er erleichtert, dass es keine Bergkette war,
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