Tims gefährlichster Gegner
besonders im Dresscode.
»Kommt er noch immer so
häufig?«, fragte Gaby.
»Jeden Monat«, nickte Sabine.
»Er hat auch Geschmack. Aber noch mehr Geschmack hat seine Freundin Regina
Bertolo. Sie ist immer dabei. Sie kann auch schneidern. Was nicht richtig
passt, ändert sie ihm.«
»Das würde ich nie von dir
erwarten«, grinste Tim und legte den Arm um Gaby.
»Immerhin habe ich dir
beigebracht, wie man einen Knopf annäht.«
»Klar doch. Seitdem trage ich
ja nur noch Hemden mit Reißverschluss.«
»Krummi ist ein Jäger«, sagte
Sabine. »Er findet immer das beste Stück. Ihr kennt doch seinen pflaumenblauen
Caldo-Versatscho-Anzug?«
»Den hatte er im vorigen
Sommer«, erinnerte sich Gaby. »Dieses Jahr hat ihn Krummi noch gar nicht
angehabt.«
»Mir hat er nicht gefallen in
dem Anzug«, meinte Tim. »Sah darin aus wie ein Mafioso im mittleren
Management.«
»Trotzdem ein Schnäppchen«,
berichtete Sabine. »Der war nagelneu, noch nicht getragen. Neuwert mindestens
1600. Krummi hat ihn für 950 Euro mitgenommen. Und in der Schule — ich habe
aufgepasst — dreimal getragen. Im August, September und Oktober. Dann nicht
mehr. Denn der CV, wie wir sagen, ist ein reiner Sommeranzug. Und wisst ihr,
was komisch ist?!«
»Nö.« Tim war nicht mehr
interessiert an weiteren Krummi-Infos, ließ vielmehr den Blick wandern zu den
Kleiderstangen mit den dunklen Jacketts.
Sabine, die nichts bemerkte,
sagte: »Genauso einen CV wie den von Krummi mit exakt derselben Farbe habe ich
bei der Hechtbacher-Brücke gesehen.«
»Wo dort?«, fragte Gaby.
»Schwamm der Anzug im Wasser?«
»Nee. Einer der Obdachlosen,
die unter der Brücke campieren, hatte ihn an. Das sah vielleicht komisch aus.
Diese abgerissenen Gestalten und dann der im CV-Designeranzug. Der Typ — ein
ziemlich junger — war zwar auch abgerissen und der Anzug inzwischen nichts mehr
wert, aber immerhin.«
»Kommt vor«, sagte Tim.
»Wahrscheinlich ist dieser CV
in einer Kleiderspende gelandet«, vermutete Gaby. »Und die Obdachlosen filzen
ja nachts heimlich die Säcke.«
»Denke ich auch«, nickte
Sabine.
Tim sah auf die Armbanduhr.
»Könnten wir jetzt bitte einen Blazer für mich aussuchen. Ich will daraus kein
tagesfüllendes Programm machen.«
Er hätte sich rasch
entschieden, denn schon der dritte mitternachtsblaue Blazer passte wie
angegossen und wirkte wie frisch aus der Fabrik. Aber die Auswahl war riesig
und Gaby wollte ihren Freund mal als Model erleben. Nach der zweiundzwanzigsten
Anprobe ließ Tim Schultern und Ohren hängen.
»Mir reicht’s! Welchen denn
nun?«
»Den!« Sabine hielt das Jackett
mit ausgestrecktem Arm.
»Nein! Den!« Gaby zeigte ihren
Favoriten.
»Beide sind super. Aber ich
folge Gabys Wahl. Deiner, Sabine, ist mit 120 Euro auch viel zu teuer. Die 85
für den anderen kann ich bezahlen. Ist euch eigentlich aufgefallen, dass links
innen am Brusttaschenfutter Initialen sind? TC. Das steht zwar nicht für Peter
Carsten, aber Tim Carsten passt.«
»Außerdem passt dir das
Leibchen gut im Rücken und an den Schultern«, sagte Gaby. »Kriech noch mal
rein.«
Tim schlüpfte in den
zweireihigen Blazer, der wirklich gut saß. Er war dunkelblau, der Stoff leicht
und knitterarm. Dezente Silberknöpfe mit kleinem Fantasiewappen.
Seitenschlitze. Die Ärmellänge stimmte.
»Natürlich musst du bei einem
Zweireiher den Hemdkragen schließen«, sagte Gaby.
»Klar doch.«
Er bezahlte bei Sabines Mutter,
die inzwischen andere Kunden bedient hatte. Gerlinde Reitz war Anfang 40 und
geschieden. Sabine lebte bei ihr und sah ihren Vater nur selten. Er war
Sparkassenleiter und hatte vor kurzem eine Polin geheiratet mit zwei kleinen Kindern.
»Weil du’s bist, Tim«, sagte
Gerlinde, »lasse ich dir den Blazer für 70 Euro.«
»Aber nicht, dass Sie
draufzahlen, Frau Reitz! Nein? Dann besten Dank. Ich komme wieder als Kunde.
Man wird ja schließlich älter und damit steigt der Anspruch an den äußeren
Menschen.«
Sie lachte. Tim und Gaby
verabschiedeten sich. Als sie zu Carlo Biju zurückbummelten, war eine
reichliche Stunde vergangen. Tim trug die weiße Falttüte mit dem Dresscode- Aufdruck.
Mit der rechten Hand hatte er Gabys zarte Finger gefasst. Die Fußgängerzone
rund ums Alte Rathaus badete im Sonnenlicht. Die meisten Menschen hatten es
eilig, schienen aber froh gelaunt zu sein.
Die Sonne war jetzt so weit
nach Westen gewandert, dass ihre Strahlen Bijus Schaufenster frontal trafen.
Die Brillantkette versprühte 1000 Farben.
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