Tina und Tini 10 - Tina und Tini und die spanischen Zwillinge
sechs Uhr geht unser Zug nach Southampton zurück, klar?“
„Aye, aye, Sir!“, sagte Tini. „Also los, Freunde, erobern wir die Festung!“
„Was wir jetzt durchschreiten, ist der Middletower “, las Tobbi aus seinem Führer vor. „Und vor uns befindet sich der Byward Tower, das Torhaus zum äußeren Burghof, in dem sich das Fallgitter befindet. Hier saßen früher die Wachmannschaften und ließen den Feinden das Gitter auf die Hirne krachen, wenn sie unerlaubt eindringen wollten.“
„Pfui Teufel“, Tina schüttelte sich, „das muss ja ein fürchterlicher Anblick gewesen sein!“
„Da kommen noch viel schlimmere Sachen, wart’s nur ab! Da drüben, das ist der Bell Tower. Hinter seinen dicken Mauern erstickten ungehört die Seufzer von Thomas More und...“
„Welche Säufer erstickten?“
„Aber Tina! Mach gefälligst deine Ohren auf. Nicht die Säufer, die Seufzer erstickten! Nämlich die von Sir Thomas More, Prinzessin Elizabeth und vielen anderen, die hier im Kerker schmachteten.“ Neben ihnen machte sich eine japanische Reisegruppe breit. Ihr Führer erklärte in einem hohen Singsang die Bedeutung des Turms, dann hoben alle wie auf Kommando ihre Kameras. Klick machte es und die Gruppe rannte weiter um der nächsten Gruppe, einer französischen Schulklasse, Platz zu machen.
„Das da drüben ist das Verrätertor “, fuhr Tobbi mit seinen Erklärungen fort. „Dort wurden die Gefangenen mit dem Boot angelandet und in den Tower gebracht. Für die meisten war es eine Einbahnstraße.“
„Wieso Einbahnstraße?“, fragte Tina, die nur halb zuhörte, weil ihr Blick auf einem jungen Franzosen ruhte, der bemerkenswert hübsche graublaue Augen hatte.
„Weil sie hier nie wieder rauskamen“, sagte Tini. „Entweder sie wurden gleich geköpft oder sie verschmachteten bei Wasser, Brot und faulendem Stroh.“
„Eis“, murmelte Tina.
„Nein, das sicher nicht. Höchstens mal eine Wassersuppe.“
„Ich meine doch, da vorne gibt’s Eis! Die Franzosen haben alle eins.“
„Erst die Bildung, dann das leibliche Vergnügen!“, kommandierte Tobbi streng. „Achtung, Leute, wir kommen jetzt zu einem besonders eindrucksvollen Punkt unserer Besichtigung. Dem Bloody Tower. Der hieß schon 1597 so, weil Henry Percy, der achte Graf von Northumberland , sich hier das Leben nahm. Außerdem sollen hier auch zwei junge Prinzen ermordet worden sein, weil ihr Onkel, Richard der Dritte, den Thron für sich allein haben wollte.“
„So eine Gemeinheit!“
„Das kann man wohl sagen. Er hat die beiden spurlos verschwinden lassen. Erst viel später hat man ihre Gebeine durch Zufall ausgegraben und den Schurken entlarvt. Aber da war er selbst schon weg vom Fenster.“
Sie betraten den nächsten Turm, den Wakefield Tower, und stiegen die Treppe zum Obergeschoss hinauf um sich die kleine Kapelle an der Ostseite anzusehen. Der Raum war wegen einer deutschen Reisegruppe so überfüllt, dass sie draußen warten mussten. So standen sie im Halbdunkel und hörten die dramatische Geschichte von der Ermordung König Heinrichs des Sechsten, den man hier tot aufgefunden hatte, mit an, ohne etwas anderes zu sehen als eine Wand aus Hinterköpfen mit und ohne Hut.
Tini hörte nur halb zu, verträumt starrte sie auf eine üppig gebauschte Schleife aus zartlila Seide am Hut einer älteren Dame, die sich auf die Zehenspitzen stellen musste um etwas von den Ausführungen des Reiseleiters mitzubekommen.
Plötzlich näherte sich eine Hand der lila Schleife. Tini konnte nicht sehen, zu wem die Hand gehörte, aber es war eine zarte, schmale Hand, vermutlich die eines Kindes. Ihre Enkelin vielleicht, dachte Tini und erwartete, dass die Hand jetzt gleich an der Schleife zupfen und sie aufziehen würde.
Aber es geschah etwas ganz anderes. In der Hand blitzte es metallisch auf, dann schoss eine kleine Stichflamme hervor. Tini erschrak so, dass sie unfähig war sich zu rühren. Die Hand näherte sich der Schleife. Gleich musste der Hut in Flammen aufgehen. Niemand außer Tini schien den Vorfall zu bemerken, denn alles starrte gebannt auf den Reiseleiter, der eben beim Höhepunkt seiner Erzählung angelangt war. Da machte die alte Dame eine unerwartete Bewegung, wahrscheinlich hatte sie keine Kraft mehr noch länger auf den Zehenspitzen zu balancieren. Sie drehte sich weg und im gleichen Augenblick verschwand die Hand mit dem Feuerzeug.
„Menschenskind!“, stöhnte Tini leise. Ihr war ganz heiß geworden vor Schreck.
„Ja,
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