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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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Wohnung bildete.
    Vor Bronstein tat sich ein riesiges Vorzimmer auf, das gleichwohl mit einer unendlichen Vielzahl an Nippes vollgestellt war. Achtlos warf die Ritter den Schlüssel auf eine der Kommoden, sodass um ein Haar ein Porzellanelefant darüber zerborsten wäre. Das scheppernde Geräusch hatte offenbar die Eltern aufgeschreckt, denn Sekunden später tauchte das Gesicht eines älteren Herrn in Abendgarderobe am anderen Ende des Vorraums auf: „Ma chère“, sagte dieser Mann mit nicht geringem Erstaunen, „was tust denn du hier? Wir haben dich nicht vor übermorgen zurückerwartet. … Und wer ist dieser Herr in deiner Begleitung?“
    In die Ritter kam Bewegung. Sie lief zu ihrem Vater, umarmte und küsste ihn. „Gell, Papa, das ist eine Überraschung! Ich habe es dort einfach nicht mehr ausgehalten. Es war so unendlich langweilig. Da habe ich mir gedacht, ich überrasche euch.“
    „Aber …“, dem Vater schienen die Worte zu fehlen, „das ist doch … höchst ungewöhnlich. … Und ziemlich gefährlich obendrein. … Um diese Zeit …“
    „Da hast du wie immer recht, Papa. Das war es auch. Stell dir vor, am Bahnhof, da haben sie jemanden erschossen. Keine zehn Meter von mir. Ich habe mich so erschrocken, dass ich in Ohnmacht gefallen bin. Und der Herr da, der war so nett und hat mich aus dieser unangenehmen Situation gerettet.“
    Es war evident, dass den Mann die Mitteilungen seiner Tochter ziemlich verwirrten. Aber die Kombination der Worte „der Herr da“ und „gerettet“ ließen es Herrn von Ritter geboten erscheinen, Bronstein überschwänglich zu danken. Mit ausgestreckter rechter Hand stürmte er auf Bronstein zu. „Mein Herr, wir sind Ihnen offensichtlich überaus zu Dank verpflichtet. Lassen Sie mich Ihnen diese unsere Dankesschuld umgehend abstatten.“
    „Das ist der Herr Oberleutnant Bronstein, Papa“, sagte die Ritter in den Rücken des Vaters. Herr von Ritter hatte in der Zwischenzeit Bronstein, der die Hand halb zum Widerspruch erhoben hatte, um den falschen Titel zu korrigieren, erreicht, und dieser hatte auch schon seine Rechte angehoben, um zum offenkundig beabsichtigten Handschlag zu schreiten, als Ritter plötzlich stehen blieb. Er schien zu zaudern.
    „Bronstein, wie?“, sagte er zögernd, und sein Gesicht, das eben noch gestrahlt hatte, zeigte nun eine zweifelnde Miene. Dann aber hellte es sich wieder auf. Ritter ergriff nun doch Bronsteins Hand und schüttelte sie heftig. „Vielen, vielen Dank, Herr Oberleutnant. Sie geben uns doch sicher die Ehre, auf dieses Ereignis noch ein Gläschen von uns entgegenzunehmen.“
    Bronstein bemühte sich um ein Lächeln: „Da sage ich nicht nein.“ Ritter drehte sich um:
    „Na, dann kommen Sie einmal mit, junger Mann.“
    Der Vorraum führte durch eine Doppeltür, die allerdings geöffnet war, direkt in den Wohnsalon, wo eine ältere Frau saß, bei der es sich um die Mutter von Marie Caroline handeln musste. Als sie Bronsteins ansichtig wurde, hob auch sie den Arm an, um den gebotenen Handkuss entgegenzunehmen. Herr von Ritter schritt unterdessen an die Bar und holte zwei Gläser hervor. „Cognac?“, fragte er. Bronstein bejahte.
    „Was habe ich da hören müssen?“, fing die Mutter an. „Es hat einen Mord gegeben?“
    „Ja“, bestätigte Marie Caroline, während sie sich auf das Sofa fallen ließ, um sogleich mit aufgekratzter Stimme die Erlebnisse am Bahnhof zu schildern. Herr von Ritter überreichte währenddessen Bronstein das Glas, stieß mit ihm an und wiederholte ein simples „Danke“.
    „Um Gottes willen!“, zeigte sich die Frau von Ritter echauffiert. „Weiß man, wer das Opfer ist?“
    „So ein alter Mann war’s“, sagte die Tochter.
    „Der Schuhmeier“, ergänzte Bronstein, „der Sozi-Mandatar. Den hat’s erwischt!“
    „Na kein Wunder“, entfuhr es dem Vater, „wer zum Schwert greift, sage man nur. Solche Agitatoren leben ohne Frage gefährlich. Aber so ein Glück, dass dir nichts passiert ist, mein Schatz.“
    Marie Caroline aber sah Bronstein an: „Sie haben g’wusst, wer das ist, Herr von … Herr Bronstein?“
    „Na ja, ist ja nicht gerade ein Unbekannter, der Herr Abgeordnete.“
    „Meinen Sie diesen Radikalinski aus Ottakring?“, mischte sich die Mutter ein, „von dem man so viel in der Zeitung g’lesen hat? Der unseren lieben Herrn Bürgermeister immer so verunglimpft hat?“
    Noch ehe Bronstein etwas sagen konnte, ergriff wieder der Vater das Wort: „Nicht dass ich diesem

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