Tinnef
ich Ihnen behilflich sein darf?“ Er löste den Fahrer ab und hielt Marie Caroline mit der einen Hand den Verschlag auf, während er ihr mit der anderen eine Stütze bot, um das Automobil zu besteigen. Als sie saß, klopfte sie mit ihren Fingern auf die Sitzbank und signalisierte Bronstein so, er möge sich zu ihr gesellen.
Der Fahrer hatte zwischenzeitlich wieder hinter dem Steuer Platz genommen. „Wohin soll’s gehen, Meister?“, fragte er über die Schulter. Marie Caroline nannte eine Adresse im vierten Bezirk.
Der Wagen begann zu ruckeln und setzte sich endlich in Bewegung. Durch die Scheibe meinte Bronstein das Gesicht von Polizeipräsident Gorup zu erkennen und dachte bei sich, es wäre nicht verwunderlich, wenn sich angesichts der Prominenz des Opfers der Präsident persönlich an den Tatort bemühte, und doch fand er es verwunderlich, dass dieser so schnell von der Angelegenheit erfahren haben sollte.
„Sie sind also Oberleutnant, Herr von Bronstein“, hörte er mit einem Mal die Stimme der Ritter an sein Ohr schlagen. „Bei welcher Einheit?“
„Bei der Wiener Polizei. Und eigentlich ist der Titel Oberkommissär. Aber das macht nichts, denke ich.“
Die Ritter machte ein fasziniertes Gesicht: „Ein Kriminalist. Wie aufregend! Haben Sie schon vielen Verbrechern das Handwerk gelegt?“
Bronstein mimte den Bescheidenen: „Man tut, was man kann.“
„Und was ist Ihr Plaisir, Herr von Bronstein?“
Bronstein hob die Augenbrauen und sah die Frau fragend an. „Na ja“, fuhr diese fort, „Sherlock Holmes spielt Geige, Auguste Dupin liebt das Lösen von Rätseln, wenn er nicht gerade Hieroglyphen entziffert, und Inspektor Tabarin verlässt seine Bettstatt so gut wie nie. Und was ist also Ihre geheime Leidenschaft?“
„Äh, ich fürchte, nichts von all dem?“
„Keine Hobbys, wie die Engländer so schön sagen?“
Bronsteins Ratlosigkeit war offenkundig. „Nun, äh, nein.“
„O!“
Dieses „O“ war so schnell und spitz ihrem Mund entflohen, dass es ihrer enttäuschten Mimik gar nicht mehr bedurft hätte, um Bronstein zu signalisieren, dass er gerade wieder in ihrer Achtung gesunken war.
„Ich konzentriere mich ganz auf die Lösung meiner Fälle“, rang er daher um Reputation.
„Das mag sein“, entgegnete sie leichthin, „aber ein wirklich großer Ermittler muss weit mehr können als nur Fälle zu lösen.“
„Sie wissen aber schon, Gnädigste, dass Holmes, Dupin und Tabarin nicht echt sind, oder?“
Den Mund der Ritter umspielte ein sphingenhaftes Lächeln.
„Die sind erfunden“, setzte Bronstein nach, „der Holmes von diesem Conan Doyle, der Dupin vom Poe, und der Tabarin von irgendsoeinem Franzmann.“
Schweigen und Lächeln.
„Aber wirklich! Wenn ich’s Ihnen doch sag.“
Die Ritter sah nun zum Fenster hinaus. „Jetzt sind wir bald da“, sagte sie abwesend. Bronstein war nahe daran, zu fluchen. Blödes Frauenzimmer, dachte er. Wenn sie nur nicht so hübsch wäre. Diese unergründlichen grünen Augen! Dieser schlanke Hals! Diese süßen Grübchen, wenn sie lächelt. Bronstein, du wirst kitschig! Aber wenn’s doch wahr ist!
„Wir sind da, Herr von Bronstein“, hörte er wieder ihre Stimme.
„Bronstein genügt völlig“, schränkte er ein.
„O!“
Na, das war’s dann wohl. Kein berühmter Geiger und nicht einmal ein Von. Die Edle von Ritter würde ihn von ihrem Vater wie einen Lieferanten bezahlen lassen und weiter keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden. Also war es besser, wenn er sich die grünen Augen und die süßen Grübchen gar nicht erst einprägte.
Die vom Fahrer eingeforderte Summe schreckte Bronstein aus seinen Gedanken. Eilig kramte er nach seinem Portemonnaie und entrichtete den genannten Betrag. Dann sprang er aus dem Wagen, umkurvte diesen und hielt der Ritter die Tür auf. Sie entstieg dem Gefährt wie eine Königin und blickte dabei stur geradeaus. Er schloss den Verschlag, der Wagen fuhr wieder an, während Bronstein die Stufen hinaufhastete, um der Ritter das Haustor zu öffnen. Er drückte die Klinke, doch nichts tat sich.
„Da ist um die Zeit natürlich schon zu, Herr Bronstein ohne von. Aber ich habe selbstverständlich einen Schlüssel.“ Die Ritter öffnete die Pforte und hieß Bronstein, ihr zu folgen. Über eine breite Treppe ging es ins Mezzanin, wo sich die Ritter nach links wandte. Sie zückte einen weiteren Schlüssel und sperrte nun auch die schwere, dunkle Eichentür auf, die offenkundig den Zutritt zur elterlichen
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