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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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zögern der Gentry zuordnete. Und dann trat aus dem roten Vorhang auch schon der Conferencier heraus.
    Der machte ein paar harmlose Witzchen und kündigte dann einen Pianisten an. Der Vorhang ging auf und gab den Blick auf ein kleines, glatzköpfiges Männlein hinter einem Flügel frei. Das Geklimpere war keine Offenbarung, doch der Klavierspieler hatte auch Mühe, gegen den Lärm im Lokal anzuspielen. Immer wieder knallte irgendwo ein Sektkorken, gab es lautstarke Kon versation und markantes Scheppern, das von Tellern, Tassen und Gläsern herrührte. Nach leidlich zehn Minuten hatte der Musiker ausgelitten. Er ging mit einer leichten Verbeugung ab, dafür kaum Beifall erntend.
    „Und jetzt, meine Damen und Herren, das bezaubernde Fräu lein Keller aus der lieblichen Schweiz, das uns mit ein paar ausgesuchten Chansons erfreuen wird.“ Wenigstens hatte der Conferencier seinen Optimismus noch nicht verloren. Wenn der Tastenschani schon nicht bestanden hatte, dann würde ein Mädel aus dem Heidiland schon gar keine Chance haben, war Bronstein überzeugt.
    Abermals ging der Vorhang auf und eine sommersprossige Rothaarige trat an die Rampe. Bronstein schätzte sie auf Anfang, Mitte zwanzig, und ihre Kleidung war elegant, ohne aufdringlich zu sein. Sie verbeugte sich und hielt den feixenden Blicken einiger Betrunkener problemlos stand. Ein leichtes Kopfnicken signalisierte der musikalischen Begleitung, sie möge beginnen, und einige Takte später setzte die Schweizerin ein. Sofort war Bronstein fasziniert. Eine so liebreizende und dennoch kraftvolle Stimme hätte er nicht erwartet. Der Rest des Publikums offenbar auch nicht, denn mit einem Mal erstarben sämtliche Hintergrundgeräusche. Alle Anwesenden standen im Bann dieser Stimme, und als einer rechts hinten zu hüsteln wagte, da zischte ihm ein hundertfaches „Schscht!“ entgegen. Das Fräulein Keller bekam tosenden Applaus, und lautstark wurde nach Zugaben verlangt, die sie schließlich auch gewährte. Bekannte Operettenlieder wechselten ab mit kunstvollen Arien, und Bronstein ertappte sich bei der Frage, weshalb die Dame nicht an der Oper engagiert war. Vielleicht, so überlegte er, lag es an ihrer Jugend. Aber falls sich der Hofoperndirektor in dieses Etablissement verirren sollte, dann würde er sie wohl von der Bühne zerren und stante pede unter Vertrag nehmen. Bronstein war sich sicher, bei der Geburt einer großen Karriere zugegen zu sein. Wahrscheinlich würde bald alle Welt von „der Keller“ reden, und er konnte dann sagen, ja, die habe ich einmal gehört, als sie noch niemand kannte.
    Nach einer halben Stunde hatte die Keller dann doch genug. Sie verbeugte sich noch einmal und ging dann unwiderruflich ab, sehr zum Bedauern des Publikums, das den ihr nachfolgenden Artisten dementsprechend unwillig empfing. Als der arme Kerl auch noch einen Teller fallen ließ, war er endgültig unten durch. Die ersten Pfiffe ertönten, und der Jongleur sah zu, dass er von der Bühne kam.
    Ihm folgte ein Eleve, der sich in großen Dramenmonologen übte und dabei auf merkwürdige Weise befremdlich wirkte. Eine Tanznummer rundete die Vorstellung ab, wobei die Revuemädchen für Marie Carolines Geschmack vielleicht einen Hauch zu leicht gekleidet sein mochten. Doch in Summe, so befand Bronstein, konnte er dieses Programm dem Fräulein von Ritter durchaus zumuten, ohne dabei als unmoralisch abgestempelt zu werden.
    „Schön war’s“, sagte denn auch Lang. „Und was machen wir jetzt?“
    „Was du machst, Lang, weiß ich nicht. Ich geh heim.“
    „Was, um zehn willst schon heim? Und ich hab glaubt, ich bin ein alter Hund.“
    Bronstein zuckte mit den Schultern. „Bis ich zu Hause bin, ist’s eh elf. Und bis ich dann ins Bett komm, haben wir sicher schon den neuen Tag.“
    Lang grübelte, doch ihm fiel kein Gegenargument ein. „Na dann“, sagte er schließlich, „gemma.“
    Bronstein beglich die Rechnung, dann verließen sie gemeinsam den Saal. Auf der Straße wünschte der Oberkommissär seinem ehemaligen Adjunkten eine gute Nacht sowie eine lichte, segensreiche Zukunft und hielt sodann auf den Ring zu.
    Zwei Zigaretten später kam eine Tramway, die ihn zur neuen Universität brachte. Dort konnte er ohne weitere Verzögerung umsteigen, und so war er eine halbe Stunde später in Dornbach. Kurz überlegte er, ob er noch in eines der Heurigenlokale auf ein Viertel einkehren sollte, doch dann entschied er, dass es tatsächlich klüger war, stattdessen die eigene

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