Tinnef
Bettstatt aufzusuchen. Er kramte nach seinem Schlüssel, fand ihn endlich und schloss umständlich das Haustor auf. Leise schlich er die Treppe hinauf, öffnete dann die Wohnungstür, machte in seiner Küche Licht und ertappte sich dabei, wie er einen jener Schlager summte, die das Fräulein aus der Schweiz dargeboten hatte. Er fühlte sich angenehm beschwingt und ging nach einer eher oberflächlichen Toilette ohne Umschweife zu Bett. Als die Turmuhr der Dornbacher Kirche elfe schlug, schlief Bronstein schon.
V.
Freitag, 14. Februar 1913
Wie üblich holte ihn der Wecker um sieben Uhr aus Morpheus’ Gauen. Die Sonne ließ die Dächer der Straße in einem beinahe magischen Glanz erstrahlen, was Bronstein ungeahnte Energie verlieh. Schwungvoll sprang er aus dem Bett und goss frisches Wasser in sein Lavoir. Dann zog er sein Nachthemd aus und wusch sich. Er stellte Kaffee zu und putzte sich, während er auf das schwarze Gebräu wartete, die Zähne. Ein kurzer Blick auf die Uhr gab ihm die Gewissheit, dass er noch in Ruhe sein übliches Frühstück einnehmen konnte: eine Tasse Kaffee und zwei Zigaretten. Dabei dachte er in einem fort an das bevorstehende Rendezvous mit Marie Caroline. Er musste nur noch acht Stunden im Agenteninstitut herunterbiegen, dann begann das schöne Leben. Noch dazu eines, das ein Wochenende inkludierte.
Dementsprechend gut gelaunt verließ er zwanzig Minuten vor acht sein Haus, um sich zur Straßenbahnhaltestelle zu begeben. Dort auf die Tramway wartend, ertappte er sich dabei, doch ner vös wie ein Erstklassler zu sein. Sein erster Arbeitstag an der neuen Wirkungsstätte. Wie mochte der wohl ausfallen? War er auch passend gekleidet? Vor allem: Hatte er auch nichts vergessen, was er in seinem neuen Büro benötigen würde? Apropos Büro: Er hatte am Vortag nicht einmal seinen Schreibtisch im Komissariat ausgeräumt! Aber mit etwas Glück würde man ihm im Agen teninstitut dafür einen Freigang bewilligen, um alle seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. An einem Freitag begann man normalerweise ja ohnehin nicht wirklich eine neue Arbeit.
Die Straßenbahn näherte sich quietschend und rumpelnd. Behände sprang Bronstein auf und nahm im Triebwagen Platz, wo er sich sogleich eine Zigarette anzündete. Die war seit einer knappen Viertelstunde ausgeraucht, als Bronstein den Zug wieder verließ. Zu Fuß legte er die letzten Meter zu seinem neuen Büro zurück und betrat das wuchtige Amtsgebäude mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der hier bereits sein halbes Leben verbracht hatte. Ohne Umschweife begab er sich zu Zimmer 110 und öffnete es erwartungsvoll.
Irgendwie fühlte er sich enttäuscht. Der Raum war recht kahl und wies nur einen Aktenschrank, einen schmucklosen Schreibtisch sowie zwei Sessel auf. Unter dem obligaten Porträt von Kaiser Franz Joseph befand sich zudem noch ein Waschbecken. Hier sollte er also fürderhin residieren? Bronstein gestand sich ein, dass er enttäuscht war. Sah man von der Tatsache ab, dass er dieses Büro für sich allein hatte, so war es in keiner Weise repräsentativer als sein altes in Rudolfsheim. Er legte den Mantel ab und überlegte, wo man hier wohl am besten zu einem guten Kaffee kam.
Just in diesem Moment klopfte es an der Tür. „Herein“, sagte er mit unsicherer Stimme. Gleich darauf kam Pokornys Antlitz in der Türöffnung zum Vorschein. „Ah, der Herr Oberkommissär sind eh schon da. Darf’s vielleicht ein Kaffee sein?“
„Aber unbedingt“, lachte Bronstein. „Ich kenn mich da ja noch nicht aus, daher habe ich auch keine Ahnung, wo da das Reich der Kaffeemaschinen zu finden ist.“
„Na warten S’, das werd ich Ihnen gleich zeigen. Nur rein prinzipiell: Lassen S’ das ruhig meine Sorge sein, denn die flüssige und feste Nahrung der kaiserlich-königlichen Agenten fällt unter mein Ressort.“
„Na, wenn das so ist“, statuierte Bronstein, „dann weiß ich jetzt schon einmal das Wichtigste.“
„Wie wollen Sie ihn denn, den Kaffee?“
„Ganz gewöhnlich.“
„Sie glauben gar nicht, Herr Oberkommissär, was für ein erschreckend ungenauer Begriff das ist. Jeder hier im Haus will etwas anderes, aber alle glauben sie, ihr Wunsch ist der einzig normale. Der eine meint, der Türkische wär der einzig wahre Kaffee, der andere wiederum sagt, einen Türkischen kann man nur passiert trinken. Wieder andere sagen, dass dieser italienische Kaffee da, dieser Espresso, die Krönung des Kaffeegenusses ist. Manche wollen ihn
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