Tinnef
weshalb er allenthalben Heinrich Jasomirgott hieß. Doch Gott, das war wohl nicht nur Bronstein klar, würde Redl nun auch nicht mehr helfen können.
Tatsächlich schien sich auch der Oberst ins Unvermeidliche zu fügen, denn er wechselte erneut die Straßenseite und ging nun die Herrengasse entlang, um schließlich und endlich abermals das Hotel Klomser zu betreten. Bronstein sah, wie er den Zimmerschlüssel verlangte und sich in das erste Stockwerk begab.
Bronstein trat wieder auf den Portier zu: „Gibt es einen zweiten Ausgang, den man erreichen könnte, ohne dass man an der Rezeption vorbeigehen muss?“ Der Portier verneinte.
„Gut“, sagte Bronstein, „geben Sie mir bitte Ihr Telefon.“
Bronstein hatte zwei Zigaretten ausgedämpft und eine dritte beinahe zu Ende geraucht, als Pokorny endlich seine epischen Ausführungen zu einem Ende brachte. Immerhin aber war Bronstein nun ziemlich genau über die ganze Angelegenheit im Bilde.
In der Tat hatte Gayer prompt reagiert. Eine Abordnung der Polizei war zwischenzeitlich zur Hauptpost gefahren, um dort den von Redl unterfertigten Beleg zu beheben. Ein ausführlicher Schriftvergleich war gar nicht mehr nötig gewesen. Der Oberst hatte seine Schrift nicht verstellt, es war auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich um seine Handschrift handelte. Als noch entlarvender erwiesen sich die zusammengesetzten Papierschnitzel, deren sich Redl beim Café Central entledigt hatte. Es waren Postbestätigungen über von Redl aufgegebene Briefe an Adressen in Warschau, Brüssel und Lausanne. Bronstein hatte Pokornys Pfiff immer noch dröhnend im Ohr. Ebenso wie seine Worte.
„Was glaubst, Bronstein, was das für Adressen sind?“ Natürlich hatte Pokorny nicht auf eine Antwort gewartet, sondern war gleich in seinem Vortrag fortgefahren. „Die in Warschau ist das Hauptquartier der Ochrana, des zaristischen Geheimdienstes. Na, und in Brüssel sitzt der Franzos’ an der Adress’. Aber, und da hat sogar der Gayer g’schaut, Lausanne san die Italiener. Stell dir das einmal vor! Die san mit uns verbündet und spionieren uns trotzdem aus. Des wird Folgen haben, da bin i ma sicher.“
Und dann war dieser durchdringende Pfiff gekommen. Bronstein hatte sich erst mit dem Finger ins Ohr fahren müssen, ehe er das Telefonat fortsetzen konnte. Ob es auch für ihn eine Order gebe, hatte er gefragt. Nach einem kurzen Augenblick war plötzlich Gayer selbst am Apparat gewesen.
„Der Schuft ist jetzt auf seinem Zimmer?“
„Jawohl, Herr Regierungsrat!“
„Egal, was er macht, lassen S’ ihn auf keinen Fall aus den Augen. Sobald er sein Zimmer verlässt, kleben S’ an ihm wie eine Klette. Haben S’ mich verstanden?“
„Sehr wohl, Herr Regierungsrat!“
„Gut. Sie halten uns auf dem Laufenden.“
Ebenso abrupt, wie er sich gemeldet hatte, war Gayer auch wieder weg. Bronstein blieb nur, Pokornys weiteren Gesprächsfluss zu stoppen. Als ihm das endlich gelungen war, seufzte er. Das konnte ja heiter werden. Die Nacht, so ahnte er, war wohl endgültig beim Teufel.
Mit einem resignierten Schulterzucken fragte er den Portier nach einem Magazin, mit dem er sich dann in die Lobby setzte. Unwillkürlich registrierte er die Uhrzeit. Es war wenige Minuten vor acht Uhr.
Bronstein hatte kaum eine Zigarette geraucht, als ein vornehm gekleideter Herr das Foyer des Hotels betrat. Über den Rand der Zeitschrift hinweg musterte Bronstein den Mann, und er brauchte nicht lange, um das Gesicht einem Namen zuzuordnen. „Der Pollak“, entfuhr es ihm beinahe eine Spur zu laut. Unwillkürlich zuckte er zusammen, doch Pollak schien ihn nicht gehört zu haben. Was der wohl hier machte? Pollak war der Erste Staatsanwalt im Lande, der Generalprokurator des Obersten Gerichts- und Kassationshofes. Bestenfalls der Justizminister persönlich stand noch über ihm. Auch wenn der Fall Redl, wie Bronstein die Causa nun auch schon in seinen Gedanken nannte, fraglos von allergrößter Brisanz und damit Wichtigkeit war, schien es kaum wahrscheinlich, dass sich darob der höchste Staatsanwalt der Monarchie persönlich an den Ort des Geschehens bemühte. Nein, Pollaks Anwesenheit musste andere Gründe haben.
„Der Redl schon da?“
Der Pollak hatte doch wirklich nach Redl gefragt. Aber keineswegs in einem Tonfall, der darauf hindeutete, dass Pollak im Bilde war. Vielleicht ahnte der arme Mann noch gar nichts von den bedeutungsvollen Wendungen, die sich seit dem Nachmittag ergeben hatten. Bronstein rang
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