Tinnef
mit seinen Armen in der Luft. Tatsächlich wurde der Chauffeur auf die beiden Männer aufmerksam. Er rechnete wohl mit einer Fuhre und drosselte das Tempo. Knapp fünfzig Meter weiter kam das Automobil zum Stehen.
Bronstein hetzte hinterher. Er hielt sich am Rückspiegel fest, um rechtzeitig zu bremsen, und starrte den Fahrer dann so lange keuchend an, bis er wieder Luft in den Lungen hatte. „Sie sind grad von der Hauptpost wegg’fahren, gelt!“
Der Automobilist nickte.
„Und Sie haben einen stattlichen Herrn g’führt, oder?“
Abermaliges Nicken aus dem Wageninneren.
„Wohin?“
„Ins Café Kaiserhof.“
„Na, dann fahren wir. Pokorny, so komm endlich.“
Umständlich zwängte sich der Ältere zu Bronstein in den Fond des Wagens. Dieser wiederum sah auf seine Uhr. Seit dem Vorfall am Restante-Schalter mochten zwanzig Minuten vergangen sein. Mit etwas Glück war der Mann noch im Kaffeehaus. „Geben S’ ordentlich Gas!“, ermunterte Bronstein den Fahrer, „wir sind von der Polizei, da gelten unsere Regeln.“ Der Mann tat, wie ihm geheißen. Die zehn Minuten bis zum besagten Etablissement kamen Bronstein dennoch wie eine Ewigkeit vor.
Als die Mietdroschke vor dem Lokal hielt, raunte Bronstein Pokorny zu, er möge die Bezahlung übernehmen, und stürzte ins „Kaiserhof“. Dieses war beinahe vollkommen leer. Wo konnte der Mann abgeblieben sein? Bronstein trat wieder vor das Kaffeehaus und besah sich die Szenerie. Gegenüber entdeckte er einen Autostand, bei dem sich auch jener Mietwagen eingereiht hatte, mit dem sie eben angekommen waren. Bronstein überquerte eilig die Gasse und überlegte, wen er nach dem Mann fragen konnte.
Zwischen den Automobilen turnte ein Wasserer herum. Für diesen altehrwürdigen Beruf hatten sich die Zeiten auch geändert. Früher waren sie einfach mit ihren Eimern an den Fiakerstandplätzen gewesen und hatten gegen etwas Schmattes den Pferden Wasser gegeben, woher auch ihre Berufsbezeichnung rührte. Die Wassereimer hatten sie immer noch bei sich, doch nunmehr nutzten sie deren Inhalt, um Karosserien und Windschutzscheiben zu waschen, wofür sie von den Chauffeuren etwas Geld bekamen, und die Türen aufzuhalten, wenn Kundschaft kam, was auch ein paar Kreuzer extra eintrug.
„He, du da!“, rief Bronstein den Wasserer zu sich und winkte mit einer halben Krone. „Hast du einen stattlichen Herrn gesehen, der vor kurzem aus dem Kaffeehaus gekommen und hier in einen Wagen eingestiegen ist?“
„Ja freilich“, bestätigte der, „i hab ihm sogar selber die Tür aufgehalten. Hat aber keine Maut gegeben, der Knauser.“
„Aha, und weißt auch, wohin er wollte, der Knauser?“
Der Wasserer grinste breit und nahm das Geldstück entgegen: „Hotel Klomser! Ich hab’s ganz genau gehört.“
Na bitte, vielleicht war doch noch nicht alles verloren, dachte Bronstein und atmete durch. Er pfiff nach Pokorny, der immer noch sinnlos zwischen dem Kaffeehaus und der Bordsteinkante hin und her taumelte, und begab sich wieder zu jenem Wagen, den sie am Kolowrat-Ring angehalten hatten. „Weiter geht’s. Hotel Klomser! Und gach a no, wenn’s geht!“
„Sicher geht’s“, raunte der Chauffeur nur, ehe er ausstieg, um sein Automobil wieder anzukurbeln. Ein paar Augenblicke später fuhren sie in Richtung Michaelerplatz. Das Auto bog in die Herrengasse ein und kam genau vor dem Hoteleingang zu stehen. Abermals sprang Bronstein aus dem Gefährt und stürzte sich ins Innere des Gebäudes.
„Grüße Sie“, empfing er den Portier schon vom Eingang, „haben Sie vor kurzem Gäste bekommen?“
Der kleine, leicht übergewichtige Mann strich sich über seinen üppigen Schnurrbart. „Grad jetzt san zwa Herren im Auto ankommen“, begann er, „Kaufleut san s’. Aus Bulgarien.“ Dabei lächelte er zufrieden.
In Bronstein kam keine Zufriedenheit auf. „Und vorher?“, fragte er mit Bangigkeit in der Stimme, „ein Herr allein?“
„Im Auto?“, fragte der Portier nach, um dann Bronsteins Hoffnungen endgültig zunichte zu machen. „Des waaß i net. Vor einer Viertelstund is der Herr Oberst Redl kommen. In Zivil war er, des waaß i. Aber i waaß net, ob er im Auto vorg’fahren is.“
Bronstein schluckte. Der Oberst Redl. Na servus. Jetzt hatte er den Salat! Ausgerechnet der Redl! In der ganzen Monarchie gab es keinen ärgeren Scharfmacher als den Chef des österreichisch-ungarischen Kundschafterdienstes. Ein Mann wie Redl würde es nicht dabei bewenden lassen, jemanden wie
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