Tinnef
mit sich, ob er Pollak ansprechen sollte, doch der Portier, der Bronstein kurz ratlos angesehen hatte, stellte schon in Redls Zimmer durch. „Der Herr Oberst kommt gleich“, sagte er dann eine Nuance zu laut.
Bronstein wurde unruhig. Was sollte er nun tun? Seine Order war unmissverständlich gewesen. Sollte Redl das Hotel verlassen, dann hatte er ihn zu beschatten. Jemand wie Pollak war sicher mit dem Wagen da, und wer vermochte zu sagen, wohin die beiden sich begeben würden. Sicherheitshalber stand Bronstein daher auf und trat an die Rezeption. „Hören S’, wo bleibt meine Mietdroschke?“
Die Verwirrung des Portiers dauerte zu Bronsteins Glück nur kurz. Er hatte dessen Augenzwinkern richtig gedeutet und verbeugte sich. „Ich werde gleich noch einmal nachfragen, der Herr.“
„Ist schon recht. Ich mache mich derweil frisch.“ Bronstein verschwand in Richtung der Toiletten, denn es schien ihm angezeigt, von Redl nicht gesehen zu werden. Doch noch einmal würde ihm derselbe Fehler nicht passieren. Bronstein hielt die Tür einen Spalt breit offen und schielte nach draußen. Er war erleichtert, dass er von seiner Warte aus Pollak direkt im Blick hatte. So würde er sofort wissen, wenn in die ganze Sache wieder Bewegung kam.
Lange musste Bronstein nicht in seiner merkwürdigen Pose verharren. Schon hörte er das Knarren der Stufen, und gleich danach erschien Redl in seinem Blickfeld, was Bronstein dazu veranlasste, ein klein wenig zurückzuweichen, um ganz sicher einer Entdeckung zu entgehen. Doch die beiden Männer schenkten ihrer Umgebung keinerlei Beachtung. Sie reichten sich kurz die Hände, wechselten ein paar Worte, die Bronstein nicht verstehen konnte, und verließen dann das Hotel. An der Tür passierten sie einen livrierten Jüngling, der mit den Worten „Des b’stellte Auto wär do“ Bronstein signalisierte, dass er die Verfolgung aufnehmen konnte.
Pollaks Wagen fuhr über die Schauflergasse zur Löwelstraße und hielt sichtlich auf die Josefstadt zu. Bronstein ließ den Chauffeur in Respektabstand folgen. Nach einer kleinen Weile tauchte das Zeichen des Restaurants „Riedhof“ vor ihnen auf, und Bronstein war sich sicher, dass Pollak dort halten lassen würde. Tatsächlich drosselte das Gefährt das Tempo und kam sodann ruckartig zum Stehen. Auch Bronstein signalisierte dem Chauffeur, er möge anhalten. Eilig drückte er ihm über die Schulter das Fahrgeld in die Hand, dann sprang er aus dem Wagen und begab sich eine Minute nach Pollak und Redl in die Wirtschaft. Zuvor erklärte er dem Chauffeur noch, er solle aufs Präsidium fahren, dort den Regierungsrat Gayer verlangen und ihm mitteilen, dass sich der Gesuchte nun im „Riedhof“ befinde. Der Mann nickte nur und wendete dann sein Automobil.
„Der Herr haben reserviert?“, näselte ein blasierter Oberkellner, dem die Verachtung gegenüber Bronsteins Adjustierung deutlich anzusehen war.
„Ja“, sagte dieser nur, „auf Kaiser und König.“ Dazu hielt er seine Marke hoch. Der Garçon zuckte unmerklich mit einem Augenlid und fragte kaum hörbar, ob der Herr Inspektor irgendwelche speziellen Wünsche habe.
„Der Redl. Wo sitzt der?“
„Herr Inspektor, wir sind ein ehrenwertes Etablissement. Bei uns wünscht die Kundschaft anonym zu bleiben.“
„San S’ a Puff, oder was?“
Diesmal gab sich der Kellner schon weniger Mühe, sein Zucken zu verbergen.
„Wie belieben?“
„Ich beliebe den Herrn Oberst Redl im Blick zu haben. Haben S’ das jetzt verstanden? Oder legen S’ Wert auf Beugehaft?“
Die zuletzt ausgesprochene Drohung war natürlich reiner Mumpitz, aber sie verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Der Ober schnippte nach einem Pikkolo und wies diesen an, Bronstein an einen Tisch in der Nähe des Herrn Staatsanwalts zu führen.
„Na bitte, geht doch“, merkte Bronstein an, als er dem Jungen folgte. Der Ober verbeugte sich steif und lächelte säuerlich.
Bronstein war mit seinem Tisch außerordentlich zufrieden. Er sah Redl direkt ins Genick und konnte, wenn man den übrigen Gesprächslärm wegfilterte, sogar leidlich verstehen, was Pollak sagte, woraus er wiederum in etwa schließen konnte, was Redl so sprach. Fürs Erste, so dachte er, war wieder alles unter Kontrolle. Er schenkte dem eben kredenzten Rotwein, den er im Vorübergehen bestellt hatte, keine Beachtung, sondern versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.
Der Miene Pollaks war zu entnehmen, dass Redl ihm gerade Dinge unterbreitete, die
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