Tinnef
Heulen. Aber ein gestandenes Mannsbild, das ließ sich nicht zu solch weibischem Tun hinreißen. Ein echter Mann spülte derartige Widrigkeiten des Schicksals tapfer hinunter.
„Genug! Meinen S’ nicht, dass ’s jetzt genug is?“
Das war wieder dieser lästige Hotelschani da. Bronstein fühlte, wie Zorn in ihm aufkam. Er saß da mit der ganzen Tragödie der Welt beladen, und der Domestik da kam ihm blöd. Dem würde er die Meinung geigen, aber gehörig. Bronstein öffnete den Mund, und ein weiterer Rülpser ward in die Welt gelassen. Für einen Augenblick war der Polizist erschrocken, dann grinste er dämlich und schüttelte den Kopf. Wozu Volksreden halten, dachte er sich, er sah die Dinge eben von einer höheren Warte. Und dieser Umstand verlangte nach einem weiteren Schluck.
Mit fahrigen Bewegungen versuchte Bronstein, die Flasche, die vor ihm in heimtückischer Absicht zu fliehen schien, zu erhaschen. Erst als er die Augen zusammenkniff, erkannte er, dass die Flasche tatsächlich Reißaus nahm. Genau genommen wurde sie entführt. Von diesem Zwutschkerl da. Was bildete der sich eigentlich ein?
„Was … einbilden … Sie … hören S’!“ Na, das war einmal ein Telegramm. Ganz ohne Postamt. Bronstein war sich nicht sicher, ob er wirklich gekichert hatte, aber eigentlich war ihm das auch egal.
„Ich sage Ihnen, Herr Inspektor, es ist genug.“
Was war das eben? In Bronstein, der eben noch im Begriff gewesen war, sanft in seinem Sessel einzuschlummern, kam wieder Leben. Genug? Was war genug? Weshalb war er überhaupt …, und wo war er vor allem? Genug? Ach ja, die Redl-Sache. Der Mann, der sich vielleicht gerade selbst ein Leid antat. Das war inakzeptabel, egal, was diese Oberg’scheiten vom Militär sagten.
„Sie ham recht“, lallte Bronstein. „Genug. … Es ist … genug.“ Er atmete tief ein und brachte sich, so gut es ging, in eine aufrechte Position. Dann fixierte er den Portier und sagte mit erstaunlicher Klarheit: „Ich muss das verhindern.“
Wie eine Feder schnellte er hoch und lief los. Links an der Rezeption vorbei und direkt durch die Tür in den Sanitärbereich. Er riss die erstbeste Kabine auf, starrte den Bruchteil einer Sekunde auf die penibel geputzte Schüssel und übergab sich dann in hohem Bogen, wobei sein Oberkörper eine Art Halbkreis beschrieb, als er sich vornüber beugte. Erst als der ärgste Schwall den Weg aus seinem Körper gefunden hatte, fand Bronstein die Zeit, genauer zu zielen. Er stützte sich am Spülkasten ab und wartete geduldig, bis auch der letzte Rest aus ihm gewichen war. Es gelang ihm gerade noch, sich nicht auf diesen Thron zu setzen, was zumindest sein Beinkleid in absolut inakzeptablen Zustand versetzt hätte, sondern er torkelte in die Nebenkabine und ließ sich dort nieder, um erst einmal auszuatmen.
Die Fäulnis, die aus seinem Munde kam, ekelte ihn. Er kramte nach den Zigaretten und steckte sich mit zittrigen Fingern eine an. Diese hing sodann leicht schief zwischen seinen Lippen und gloste vor sich hin. Ab und zu gelang es Bronstein, einen Zug zu machen, wobei er der Asche, die in periodischen Abständen auf seine Oberschenkel fiel, keine Beachtung schenkte. Erst als ihn ein jäher Schmerz durchzuckte, der davon herrührte, dass die Zigarette bis zu seinen Lippen abgebrannt war, spuckte er das Rauchwerk aus, das zu Boden fiel und dort allmählich erlosch.
Wie auch Bronsteins Geist. Sein Kopf sackte nach hinten an die Toilettenwand. Seine Augen schlossen sich, und Bronstein registrierte, wie sich sein Körper allmählich entspannte. „Ein ganz klein wenig lasst uns tun, und alles ist getan.“ Bald schon kündete lautes Schnarchen davon, dass Bronstein seinen inneren Konflikt auf besondere Weise gelöst hatte.
„Herr Inspektor! Is Ihnen was?“
Mühsam öffnete Bronstein die Augen. Allmählich erkannte er das Gesicht des Hotelangestellten, das ihn mit besorgter Miene anstierte. Erst ganz langsam, dann aber immer schneller prasselten die Gedanken auf Bronstein ein. Er erinnerte sich wieder, wo er war, warum er dort war und wie er an diesen ganz speziellen Ort gelangt war. „Wie spät hamma’s?“, fragte er endlich.
„Halb drei vorbei“, antwortete der Mann. Bronstein verdrehte die Augen. Er musste rund neunzig Minuten geschlafen haben. Kein Wunder, dass ihm alles wehtat. Vor allem aber sein Kopf. Nun ja, er hatte ja ziemlich viel getrunken.
Er wollte dem Portier dankbar zulächeln, da dieser nach ihm gesehen hatte. Doch dann fiel
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