Tintorettos Engel
erzielen. Du kannst nicht länger warten, und ich auch nicht.»
Wir waren das Klatschmärchen von Venedig. Im Lauf der Zeit hatte sich ein zarter Schleier aus Unterstellungen über uns gelegt, dem wir nicht mehr entweichen konnten. Anfangs war ich Gegenstand und Zielscheibe - doch mir war das egal. Es hieß, ich würde meine Tochter gefangen halten und deswegen am Heiraten hindern, weil ich wahnsinnig eifersüchtig sei und sie für mich allein haben wolle. Oder wie die Boshaftesten unter ihnen meinten, weil ich ganz allein in ihren Genuss kommen wolle. Meine alten Feinde verhöhnten mich und verglichen mich mit der Figur des eifersüchtigen Greises aus den albernen Komödien - von seiner Gefangenen, der schlauen jungen Ehefrau, um den Finger gewickelt, die es ihm früher oder später mit einem regelrechten Horngeweih zurückzahlen würde. Oder ich sei Osdrubaldo, der von einem Hund bestrafte König. Marietta und ich kannten das
Geschwätz nur zu gut und machten uns darüber lustig.«Bin ich deine Gefangene oder du meiner?», fragte sie scherzhaft, während wir in der düsteren Werkstatt Musik spielten. Und ich fragte zurück:«Mit wem betrügst du mich?»«Eines Tages, wenn du es am wenigsten erwartest, Jacomo», erwiderte sie und zupfte ein paar Saiten auf der Laute,«werde ich dir entfleuchen. Über Land und Wasser wirst du eilen und mich suchen, aber niemals wirst du mich wiederfinden.»
Schließlich wurde sie zur Zielscheibe. Die Frauen hielten ihren Verzicht zu heiraten auf einmal für krankhaft, und die von ihr abgewiesenen Männer brachten Mutmaßungen in Umlauf, in denen sie vom Opfer zu meiner Komplizin wurde. So weit war es mit der üblen Nachrede gekommen. An einem Sonntag vor der Messe, als ich bei Marietta untergehakt an den Kirchenbänken vorbeiging, hörte ich - genauso wie sie - den Satz: Da kommt Cordellina mit seiner Geliebten . Ich spürte, wie das Blut in meinen Adern gefror. Marietta konnte diese höchst vulgäre Anspielung nicht verstehen - die Sache hatte sich in dem Jahr ereignet, als sie geboren wurde.
Ich stand damals mit Cornelia auf der Rialtobrücke, als auf dem Canal Grande der Kahn mit dem zum Tode Verurteilten glitt. Wir verhandelten gerade mit einem Sterndeuter, der auf der Grundlage der Weisheit von Nostradamus und Hermes Trismegistos angeblich die Zukunft vorhersagen konnte. Cornelia wollte unter allen Umständen wissen, ob unser Kind unter einem guten Stern das Licht der Welt erblicken würde, wenngleich sie nicht abergläubisch war. Da war auf einmal ein lauter Schrei zu hören, und alle liefen zum Geländer. In ihren schwarzen Kutten aus Sackleinen und den über das Gesicht gezogenen Kapuzen rasselten die Mitglieder der Bruderschaft der Hingerichteten am Bug des Schiffs mit ihren um die Hüfte gebundenen Ketten und schlugen sich mit der Handfläche auf die mit einem Jesusbild bestickte Brust. Der an einen Pfahl gefesselte und bis zum Bauchnabel
entblößte Verurteilte stieß entsetzliche Schreie aus. Er blutete wie ein abgestochener Stier. Im Haus, in dem das Verbrechen geschehen war, war ihm bereits sein Geschlechtsteil abgerissen worden. Die Hände - mit dem Beil abgeschlagen - hingen um seinen Hals und baumelten wie unzüchtiges Gehänge bei jedem Stoß hin und her.
«Nun streichle sie doch!», rief ihm die Menschenmenge zu, die sich auf den Canal Grande hinauslehnte, um sich das Schauspiel nicht entgehen zu lassen.«Verfluchtes Aas, jetzt sieh mal zu, wie du dein Flittchen vögeln kannst!»Voller Entsetzen beugte sich Cornelia über die Brüstung und übergab sich. Der schaurige Kahn glitt unter den Brückenbogen hindurch und fuhr weiter Richtung San Marco.«Was hat dieser Mann getan, dass er eine solche Bestrafung verdient?», fragte Cornelia leichenblass. Eine junge Frau, die sich über das Geländer der Rialtobrücke lehnte, um das inzwischen außer Reichweite gelangte Schiff mit toten Fischen zu bewerfen und die Häscher aufzuhetzen, keine Gnade walten zu lassen, drehte sich ruckartig um und zischte:«Dieses Schwein hat jahrelang mit seiner Tochter fleischliche Unzucht getrieben. Nun bringen sie ihn auf den Hauptplatz, stellen ihn zwischen die Säulen aufs Schafott, enthaupten ihn und übergeben seine Leiche den Flammen, bis nur noch ein Häufchen Asche von ihm übrig ist, das in der Lagune landen wird.»«Und die Tochter?», fragte Cornelia,«was wird aus ihr, der Armen …? »«Die Arme?», rief die junge Frau hasserfüllt.«Die Tochter des Cordellina war seine
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