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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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von Gnaden Gottes und in jeder Hinsicht den anderen Sterblichen überlegen, nicht dazu herablassen könnten, einem einfachen Geschöpf aus dem Volk Geld anzubieten; Marietta würde jedoch selbstverständlich gut belohnt werden. Wenn er eine Zahl wagen dürfe, so seien fünftausend Dukaten im Gespräch. Andere berühmte Malerinnen, wie die begnadete Sofonisba Anguissola, hätten die Einladung der Herrscher Spaniens nicht ausgeschlagen. Darüber hinaus kursiere am Hof das Gerücht, dass Marietta wie eine junge Lerche singe. Das habe große Neugier geweckt, denn nachdem die vorherige Königin jung verstorben sei und sich der König wie ein Mönch in ein einen Tagesritt von Madrid entferntes Landgut zurückgezogen hätte, habe man sich im Escorial wie zu Unrecht bestraft gefühlt. Nun aber gebe es eine neue junge Königin, und alles sei wieder gut. Außerdem sei Spanien ein großes Land: Während Venedig von der Geschichte anscheinend zum Niedergang verurteilt sei, stelle sich Spanien als das Land der Zukunft dar. Obgleich es nicht in dem Brief stand, fügte Sánchez hinzu, dass für das Wohl von La Tintoretta in Madrid gesorgt werden würde. Königin Anna könne es nicht abwarten, sie kennenzulernen. Mit ihren erst neunundzwanzig Jahren seien sie beinah Altersgenossinnen. Und Königin Anna sei eine Deutsche. Nun, eigentlich komme sie aus Österreich - in Spanien aber fühle sie sich einsam.
    Um Marietta zu belohnen und die anderen daran zu erinnern, dass derjenige, der größten Einsatz bei der Arbeit zeigt, öffentliche Anerkennung verdient, bat ich Sánchez, den Brief in Anwesenheit all meiner Helfer erneut vorzulesen. Marietta unterbrach ihn jedoch und fragte Aliense, meinen jungen Gehilfen:«Antonio, warum gehst du nicht nach Madrid?»«Weil ich nicht singen kann», erwiderte der Grieche schlagfertig. Da trat Marietta vor Sánchez, entriss dem Brief den roten Tropfen Siegellack und steckte ihn
zwischen ihre Brüste. Dann verneigte sie sich vor mir und sagte lachend:«Noch auf der Stelle würde ich abreisen, aber ich habe bereits einen König.»
     
    Ich erzählte ihr von Marco Steiner auf der Fähre über den Canal Grande, die im Licht des Mondscheins wie ein silbern glänzendes Blatt aussah. Das Boot hatte dermaßen viele Passagiere geladen, die von den Festivitäten nach Hause zurückkehrten, dass das Wasser bei jedem Ruderschlag an den Bootsrand schwappte.«Schwarze Augen, schwarze Haare, weder Bart noch Schnurrbart und hochgewachsen», sagte ich.«Von wem sprichst du?», fragte Marietta neugierig.
    Wir kamen von einem Empfang im Palazzo Mocenigo. In Verkleidung. Ich war in ein schwarzes Priestergewand gehüllt, sie dagegen von Kopf bis Fuß ganz in Weiß. Zum ersten Mal hatte sie mich auf ein Fest begleitet und war den ganzen Abend nicht von meiner Seite gewichen. Niemanden hatte sie an sich herankommen lassen. Sobald sich jemand mit ihr vertraut machen wollte, zeigte sie sich ungezähmt wie eine Raubkatze. Als ein junger Mann in Kapitänsuniform sie zum Singen aufforderte, fragte sie zuckersüß zurück, was er denn unter Nichtigkeiten verstehe. Und während er, unsicher geworden, mit einer Antwort zögerte, sagte sie mit einem hämischen Grinsen:«Ich zum Beispiel verstehe darunter, vor einem Trottel zu singen.»
    Ich blieb unerkannt, sie wahrscheinlich nicht. Zu jener Zeit war Mariettas Name in aller Munde. Jeder lud sie ein: der eine in seinen Salon, der andere zu einem Spaziergang am Lido, der Nächste auf die Jagd. Möglicherweise wollten sie herausfinden, ob sie etwas von mir geerbt hatte - Verstand, Ironie oder gar mein Talent. Vielleicht wollten sie auch bloß ihre Neugier stillen, die Marietta bis ein paar Jahre zuvor durch ihr jungenhaftes Äußeres und Verhalten geweckt hatte. Bis zu ihrem plötzlichen Verschwinden. Ich hatte sie den Blicken und dem Gerede entzogen. Um
sie aus der Nähe zu sehen, mussten Edelmänner nun im Atelier vorstellig werden und mich bitten, sich von ihr portraitieren zu lassen. Waren sie älter als fünfzig und verheiratet, und war ihr Ruf tadellos, so konnten sie sich vor einen dunkelgrünen Samtvorhang in Pose setzen.«Mögt Ihr nicht Tausende Seufzer in der Nacht für uns singen», wagten sie nach einer Weile zu fragen, vom langen, eintönigen Herumsitzen gelangweilt und neugierig auf die winzige, blonde Gestalt, die von der hohen Staffelei vollständig verdeckt wurde.«Singt uns doch Du stürzt mich in den Tod, Ihr wisst um meine Liebe », baten sie sie, oder sie nannten

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