Tintorettos Engel
ihr die anderen beliebten Lieder, die jeder, vom Senator bis zum Gondoliere, auswendig kannte und beim Erledigen von Schreibkram oder beim Rudern vor sich hin trällerte.
Marietta zierte sich und ließ sich immer wieder bitten, obwohl sie sich eigentlich gern in Szene setzte. Das hatte sie wohl von mir. Sie liebte es, Zuschauer zu haben, und nahm jede Herausforderung an. Je schwierigere Noten ein Lied hatte, desto eifriger war sie darauf erpicht, diese zu meistern. In Venedig wurde viel geredet, und es ging das Gerücht, dass niemand Küsse mich, mein einzig Leben und Wundersames Wunder besser als La Tintoretta singe. Es hieß, ihr Timbre sei einzigartig, und sie singe besser als eine Hofdame. Über ihren Stand aber erzählte man sich nichts. Während sie die zu Portraitierenden empfing, unterhielt und erheiterte, steckte sich mein Funke eine Feder in ihren Ausschnitt. Eine rote Feder. Die Venezianer kannten das Zeichen, das ihnen bei ihren Gespielinnen schon begegnet war. Die Signora ist nicht zu haben.
Marietta war zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens eine Venus, geschweige denn eine Diana, Herr. Doch sie hatte das, was viele Frauen vergeblich anstreben, sich aber nicht kaufen können: Charme. Ihre Intelligenz, ihre Anmut und Einzigartigkeit machten ihre Schwächen noch begehrenswerter. Vielleicht lag es auch an ihrem Ruhm. Ruhm ist wie ein Magnet - dieser heilige Stein,
der genau den anzieht, der sich ihm widersetzt. Und Marietta war berühmt geworden, wenngleich nicht das an ihr gewürdigt wurde, worauf es ankam. Sie priesen ihre Frühreife und ihre Jugendlichkeit - dagegen hätten sie ihre Demut preisen sollen. Marietta arbeitete für mich und zuweilen sogar an meiner statt. Vielleicht schlug sie den gleichen Weg wie ich ein - auch ich hatte erst gelernt, ein anderer zu sein. Vielleicht handelte sie aber auch ganz unbewusst, sie liebte die Malerei und verlangte lediglich, sich ernsthaft mit ihr beschäftigen und sie zu ihrem Beruf machen zu können. Ihre Portraits waren überaus gut: Mit leichter und flinker Hand führte sie den Pinsel, feinsinnig und mit einem Hauch von Ironie vermochte sie die Persönlichkeit ihrer Modelle zu erfassen. Und doch fehlte ihren Werken das gewisse Etwas. Das war uns beiden bewusst. Aber um wie viel Ehre es auch immer ging, sie war eine Malerin - und somit ein seltenes Exemplar in Venedig, Italien und ganz Europa. Eine Art Einhorn, an dessen Existenz auch der zu glauben bereit war, der es nie gesehen hat und trotzdem haben will.
«Der Goldschmied, Marietta», sagte ich.«Welcher Goldschmied? », fragte sie.«Bei Mocenigo habe ich etliche gesehen.»«Ach, bei denen haben sich die Damen die Edelsteine geliehen, die sie zur Schau trugen, und eingeladen haben sie die nur, damit sie den Schmuck nicht so schnell zurückgeben müssen. Ich meine den Liebling meines Onkels, der Deutsche aus Augsburg - dieser Dunkelhaarige mit der Silberkette und den Lapislazulisteinen um den Hals. Marco Steiner aus Augsburg.»«Ich weiß nicht, von wem du sprichst», erwiderte Marietta lächelnd.«Wer immer das sein soll, er muss hässlich wie die Nacht sein, denn aufgefallen ist er mir nicht.»Ich blieb hartnäckig - denn ich kannte sie gut. Wenn Steiner ihr gefiel, hätte sie eher ihre Zunge verschluckt, als dies zuzugeben.«Warum sprichst du über ihn, Jacomo?», brach es endlich aus ihr heraus.«Weil er dein Ehemann ist», antwortete ich.
«Ich will nicht heiraten», erinnerte mich Marietta.«Ich will
von niemandem die Frau sein. Ich bin schon deine Tochter. Was hat eine Frau schon davon, sich zu vermählen? Sie selbst geht verloren, und was sie findet sind nichts anderes als Kinder, die ihr ein paar glückliche Jahre und viel Kummer bescheren, und die Befehle eines Mannes. Ich will das nicht. Ich habe nichts, nur meinen Körper, aber der gehört mir, mitsamt den in ihm ruhenden Wünschen.»
Ich beugte mich über sie und zog die rote Feder aus ihrem Dekolleté.«Seit zehn Jahren drohst du mir mit der Heirat», sagte sie lächelnd in diesem distanzlosen Ton, den sie nur anschlug, wenn uns keiner hören konnte.«Aber das sind alles nur Worte, nicht wahr, Jacomo?»Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und fing an, meinen Schnurrbart zu zwirbeln, wie sie es immer tat, wenn sie etwas haben wollte.«Du willst doch gar nicht, dass ich heirate. Noch weniger als ich.»«Die Vermählung ist ein Geschäft wie jedes andere, Marietta», sagte ich und rückte von ihr weg.«Das Wichtige ist, Gewinn daraus zu
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