Tintorettos Engel
gefiel. Als er tatsächlich das Zeitliche segnete, hinterließ er mir lediglich ein Stück Land, das er dem Besitzer unrechtmäßig entzogen hatte und das daher für mich nichts wert war. Während sich Marco Augusta ruhig und gelassen und in vernünftigem Ton mit mir unterhielt - sein starker deutscher Akzent hallte in meinen Ohren
wie eine vergessene Melodie -, wurde mir bewusst, dass er der Mann war, auf den ich gewartet hatte.
In jenen Tagen kurz vor Karneval wurde Marietta ein unwiderstehliches Angebot unterbreitet. Für sie war es eine Art Weihe. Für mich die Prüfung, die ich nicht mehr aufschieben konnte. Es kam vom spanischen Königshof, vom Monarchen, der über die halbe Welt regierte, dem schärfsten Gegner der Unabhängigkeit Venedigs. Obschon er in ganz Europa Bilder erwarb, mit denen er die kahlen Wände des Escorial ausstattete, schätzte mich König Philipp nicht besonders und hatte daher noch nie ein Bild bei mir in Auftrag gegeben. Tizian hatte er geliebt, und zwar nicht wie ein Herr seinen Diener, sondern wie ein mächtiger Mann denjenigen liebt, der seinen Träumen, Ängsten und seinem Gott Formen verleiht. Kein anderer Maler konnte je an seinen Maestro heranreichen; diese Treue machte ihm durchaus Ehre. In Madrid hatte noch niemand ein Bild von Marietta gesehen, aber man hatte voller Begeisterung von ihr reden gehört. Erst war es der Botschafter Khevenhüller, der sich an ein wundervolles, kurzhaariges junges Mädchen in Jungenkleidern erinnerte, an ein merkwürdiges Geschöpf, das mich stillschweigend zur Residenz der Botschafter des Kaisers begleitet habe, wo es die Aufmerksamkeit der Sekretäre und auch seine eigene auf sich gezogen habe. Dann erzählte auch ein gewisser Hieronymus Sánchez von ihr, der Bruder von Philipps Hofmaler, der seit ein paar Jahren in Venedig wohnte, wohin man ihn - bewaffnet mit einem Empfehlungsschreiben des Königs höchstpersönlich - geschickt hatte, um sein Studium in Zeichnen und Kolorieren abzuschließen.
Sánchez arbeitete eine Zeit lang in der Werkstatt von Tizian. Hin und wieder beschleunigte er das eine oder andere Geschäft für den spanischen Hof, etwa wenn es darum ging, Farben für die neuen Dekore des Escorial zu erstehen. Anfangs beauftragte er Tizians Sohn Horaz damit - und nach dessen Tod fragte er mich.
Ich hatte jedoch keine Zeit, einen Spanier, wenngleich Maler eines Königs, nach Rialto zu begleiten und Farben einzukaufen. Zumal er sie, und das ist nicht nur so dahingesagt, kistenweise brauchte, weswegen sich die Verhandlungen mit den Farbenhändlern über Stunden hinziehen konnten. Davon abgesehen hatte der spanische Staat zwei Jahre zuvor seinen Bankrott erklärt und stand nun im Ruf, Rechnungen nur zögerlich zu begleichen. So schickte ich Marco los - es war die einzige Beschäftigung in seinem Leben, die mein Sohn mit Freude in Angriff nahm.
Mein so maßlos impulsiver und gefallsüchtiger Sohn beeindruckte Sánchez. Der Spanier nahm ihn mit zum Sitz der Botschafter, wo Marco umgehend an der überwältigenden Eleganz der Spanier und dem geschickten Umgang mit ihren prunkvollen Waffen einen Narren fraß. Fortan suchte er ihren Umgang und freundete sich mit Sánchez an. Die beiden waren sich ähnlich. Sie gerieten gleich schnell für etwas ins Schwärmen und waren gleich schnell frustriert, sie schwelgten beide gern in übersteigertem Luxus und hatten den Hang zu zwielichtiger Gesellschaft. So kam es, dass der Spanier eines Tages auch bei uns aufkreuzte. Und wie man ahnen konnte, gefiel Marietta dem Spanier noch viel mehr als ihr Bruder.
Unversehens gab Sánchez ein Portrait bei ihr in Auftrag und saß eine Woche lang Modell.«Was tun die da?», fragte ich Dominico, der mir seit mehr als zehn Jahren über jedes einzelne Wort und jede Regung von Marietta Bericht erstattete.«Nichts», antwortete mein guter Sohn lustlos,«sie schaut ihn an und singt. Er schaut sie an und schweigt. Sie schauen sich halt an.»Letzten Endes musste Sánchez irgendjemandem von Marietta erzählt haben, der wiederum mit dem Sekretär der Königin über sie gesprochen haben musste. Denn eines Tages stellte er uns einen mit leuchtendem Siegellack verschlossenen Brief zu. Er berichtete uns, dass der Herrscher die virtuose Frau auffordere, sich nach Madrid zu begeben. Mit anderen Worten, es wurde ihr angeboten,
die Malerin der Königin zu werden. Von Geld war in der Einladung nicht die Rede. Sánchez erläuterte uns, dass sich die Mächtigen der Welt, Herrscher
Weitere Kostenlose Bücher