Tintorettos Engel
Edelstein. Wer aus Feuer gemacht sei, könne nicht mit einer anderen Person aus Feuer zusammenleben. Auch nicht mit Luft, da sie das Feuer nähre. Er könne lediglich mit jemandem zusammenleben, der aus Erde oder aus Wasser gemacht sei, weil beide das Feuer löschten.
«Und Ihr, Signor Steiner, woraus seid Ihr gemacht?», fragte Marietta neugierig. Marco Augusta blieb seine Antwort schuldig. Am Ende ließ er sie wissen, dass der passende Stein für ihn der Diamant sei, das härteste Element aus diesem Mondkreis. Der Diamant weiche weder vor Eisen noch Feuer zurück, und seine Kraft liege darin, allein durch Hoffnung etwas bewirken zu können.
Obwohl die Kinder nichts von dem Zwiegespräch der beiden verstanden hatten, kehrten sie aufgeregt nach Hause zurück. Beim Anblick der Tiegel, in denen der Deutsche das Gold schmolz und formte, der Karaffen und Destillierkolben, in denen es auf dem vom Blasebalg angefeuerten Ofen köchelte, der geheimnisvollen Instrumente, mit denen er das Metall bog, der Edelsteine mit den phantasievollen Bezeichnungen - Bernstein, Amethyst, Granat, Balassrubin, Opal, Beryll -, die sie in seiner Werkstatt zu Gesicht bekommen hatten, waren sie in Verzückung geraten. Marietta fragte ihre Schwestern, was sie von dem Juwelier hielten.«Er ist noch viel schöner als der heilige Sebastian», bemerkte die weise Perina,«obschon er merkwürdige Sachen sagt und eiskalte Finger hat, daher ist bestimmt auch sein Herz aus Eis.»Lucrezia meinte lediglich, dass der Juwelier zwar ein freundlicher Mann sei, was ihn aber sehr verdächtig mache, da Männer immer nur dann zu Frauen nett seien, wenn sie sie anschwindelten. Ottavia war dagegen von seinem Reichtum überwältigt: Der Deutsche habe ja mehr Edelsteine als die Pala d’Oro im Markusdom! Ihre Enttäuschung war groß, als Marietta sie aufklärte, dass ein Juwelier
zwar Schmuckstücke schmiede, indem er das Gold zurechtbiege und die Edelsteine schleife, sie aber nicht besitze.«Schenkt er sie dann wenigstens dir?», fragte sie.
Am Sonntag darauf brachte ihr Marco Augusta eine in ein Seidentuch gehüllte, wachsversiegelte Muschel.«Schau mal hier, mein kleines Fräulein Ottavia», sagte er zu ihr,«einige Edelsteine entstehen dadurch, dass sich Wasser in Stein verwandelt, andere in Flüssen oder Vogelnestern, der Kelidon zum Beispiel befindet sich im Magen der Schwalben. Andere wiederum in den Ventrikeln von Tieren oder in den Nieren von Schlangen und Drachen. Dieser hier ist in den Tiefen der See entstanden. Die Perlentaucher von Hormus haben ihn aus dem Meer gefischt. In dieser Muschel», betonte er und kniete sich vor sie hin,«befindet sich die größte Perle, die du je gesehen hast. Du musst mir versprechen, sie nicht zu öffnen. Wenn du groß bist und heiraten wirst, werde ich sie dir in deinen Hochzeitsring einfassen.»Ottavia fiel ihm um den Hals, küsste ihn auf die Wangen, schwor hoch und heilig, die Muschel niemals zu öffnen, und rannte davon, um sie unter ihrer Matratze zu verstecken. Ich habe immer geglaubt, er hätte nur sein Spiel mit ihr getrieben und in der Muschel befände sich gar nichts. Aber vielleicht liegt darin sogar ein Rubin, groß wie ein Aprikosenstein, oder ein Achat oder ein Saphir. Aber die Idee stammte nicht von ihm; dahinter verbarg sich Mariettas märchenhafte Phantasie. Die Muschel liegt noch immer in Ottavias Schrein, die Schalen sind nach wie vor versiegelt. Vielleicht wollte mir Marietta damit etwas sagen - ich verstand es jedoch nicht, Herr.
Marco Augusta und Ottavia standen plaudernd unter der Loggia beieinander, bis das Dienstmädchen uns zu Tisch bat. Und selbst da führten sie Seite an Seite ihre Unterhaltung fort. Ich weiß zwar nicht, worüber sie sprachen, aber immerhin gelang es Ottavia, ihm ein Lächeln zu entlocken. Sie wäre die perfekte Frau für ihn. Dieser schamlose Gedanke verletzte mich nicht im Geringsten, Herr. Es liegt in der Natur des Lebens, sich stetig zu
erneuern. Ich wäre glücklich, wenn sich unser Juwelier dazu entschließen würde, noch einmal zu heiraten. Der - für immer - verlassene Bräutigam ist nicht er.
«Aus Euch ist ja eine richtige Frau geworden, Laura», sagte Cesare dalle Ninfe scherzend.«Es wird langsam Zeit, Euch einen Mann zu suchen. Gibt es hier jemanden am Tisch, der Euer Mitgefühl verdient hätte?»Da fiel Laura prompt die Gabel mit den spitzen Zacken auf die flache Hand.«Gott im Himmel», rief sie verlegen,«ich hoffe doch sehr, dass mein Vater einen besseren
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