Tintorettos Engel
wäre. Streng erinnerte ich sie daran, dass sie ihrem Vater zu Gehorsam verpflichtet sei, aber vor allem unserem Namen Achtung schulde.«Willst du mich bestrafen, Vater?», rief sie daraufhin.«Ich habe keine Angst vor dir. Eingesperrt hast du mich ja bereits, was kannst du mir sonst noch antun?»Ich untersagte ihr, in einem solch unverschämten Ton mit mir zu sprechen. Da ging sie wie eine Kiste Feuerwerk in die Luft. Ich sei der grausamste aller Väter, der selbstsüchtigste aller Tyrannen. Löwen ernährten sich vom Blut, ich aber würde mich an der Jungfräulichkeit meiner Töchter satt essen. Ich hätte der Kirche bereits zwei Nonnen geschenkt. Ob mir das nicht reiche? Für welche Sünde ich beim Herrn um Vergebung
bitten müsse?«Halt den Mund und schäm dich», fuhr ich sie an.«Schau mich doch an, ich bin schon ganz verwelkt», warf sie mir vor,«ich werde alt und grau!»Sie riss sich den Schleier vom Kopf und hielt mir ihre zerzauste Mähne unter die Nase, graue Haare konnte ich allerdings nirgends finden. Wie auch? Schließlich ist meine Tochter erst zwanzig.
«Ich will meine eigene Familie haben», schrie sie, ohne auf meine Bitte Rücksicht zu nehmen, leiser zu sprechen, da Palma und Sadeler bereits eingetroffen waren und von den Streitereien innerhalb der Familie nichts zu wissen brauchten.«Ich will eine gute Ehefrau und Mutter sein, dazu bin ich bereit, jeden Monat aufs Neue. Mein Leben ist eine einzige Verschwendung. Ich will keine Malerin werden, auch keine Sängerin, Musikerin oder Künstlerin am Hofe. Ich mache mir nichts aus Ruhm, ich muss nicht überall bekannt sein - ich bin lediglich eine Frau, und das reicht mir. Aber warum versagst du mir das, warum verdirbst du mir meinen einzigen Traum? Lass mich doch von Sankt Anna weggehen! Ich will keine Nonne werden und mein Leben unter lauter Frauen verbringen, ich will nicht mitten in der Nacht aufstehen müssen, um die Matutin zu beten, ich will nicht, dass der Sinn meines Lebens darin besteht, Äbtissin zu werden, ich kann nicht beten, ich kann nicht einmal lernen, für das Klosterleben bin ich einfach nicht gemacht, ich habe dich nie um etwas gebeten, und du hast mir nie etwas geschenkt. Dass ich existiere, schert dich nicht im Geringsten. Wenn es nach dir gegangen wäre, hätte es lieber mich anstatt sie treffen sollen. Aber ich bin nicht tot, denn Gott hat nicht mich ausgewählt. Aber auch du hast nicht mich ausgewählt, du verachtest mich, hasst mich vielleicht sogar, auch wenn ich nicht weiß, was ich dir getan habe, denn nichts habe ich dir getan. Ich bin nichts Besonderes, sondern einfach nur eine ganz normale Frau, aber eben eine Frau - ich will ein Kind, was ist so falsch daran, mindestens acht will ich haben, wie meine Mutter, ich will für sie leben, denn genau dafür bin ich auf die Welt gekommen.»
«Ich bin sterbenskrank, Ottavia», erwiderte ich gereizt.«Ich habe derzeit wahrlich Wichtigeres zu erledigen. Ich kann mich nicht auch noch um dich kümmern. Deine Mutter wird darüber befinden, ob du Nonne wirst oder ob sie dir eine Aussteuer gibt.»Da beschwor mich Ottavia, nicht ihrer Mutter die Entscheidung zu überlassen, da Faustina doch so überaus vorsichtig und sparsam sei, dass sie immer meine, wir hätten nicht genug Geld, um auf standesgemäßem Niveau zu leben; sie würde es daher wie die anderen venezianischen Damen halten und ihre älteren Töchter opfern und ausschließlich die letzte verheiraten, ich solle die Entscheidung übernehmen, ich sei zwar manchmal grob und launisch, aber eine gute, barmherzige Seele, hätte mit jedem Mitleid, sogar mit Fremden, immer würde ich versuchen, den Notleidenden zu helfen, jeder in Venedig wisse, dass ich nicht Nein sagen könne, daher könne sie nicht glauben, dass ich sie opfern wolle, irren sei menschlich, darauf beharren teuflisch, ich, der als der intelligenteste Mann Venedigs gelte, könne nicht einfach die Neigungen meiner Kinder missachten, sondern müsse begreifen, dass ihre einzige Berufung die Ehe sei.
Als sie merkte, dass mich ihr pathetisches Gerede nicht nur nicht anrührte, sondern regelrecht fahrig werden ließ, warf sie sich auf die Knie und versuchte meine Finger zu küssen. Ich stieß sie zurück: Von ihren tränenüberströmten Wangen bekam ich nasse Hände, und ich kann es nicht mitansehen, wenn Frauen weinen.
Der Juwelier kam als Letzter. Seitdem er ans andere Ufer des Canal Grande gezogen ist, sehen wir uns kaum noch. Glaube mir, Herr, denn ich sage die
Weitere Kostenlose Bücher