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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Wiedergeburt.
    Marco Augusta nickte und senkte den Blick. Vergib mir, Herr, denn ich habe ihn belogen. Dass auch ich eine Fackel im Bogenfenster für sie brennen lasse, habe ich ihm verschwiegen. Auch ich glaube, dass Marietta zurückkommen wird - und wenn es so weit ist, soll sie wissen, dass ich auf sie gewartet habe.
    Nervös spielte der Juwelier mit seinen dünnen, schmalen Händen an dem Ring herum, den er noch immer am Finger trug. In ihm sind Mariettas Name und der von ihr ausgesuchte Sinnspruch eingraviert: Omnia vincit amor . Jedes Mal, wenn Marco Augusta ihn berührte, blitzte ein helles, kühles Licht auf - in der schummrigen Atmosphäre des Wohnzimmers leuchtete er wie
ein im Universum verloren gegangener Stern. Da merkten wir plötzlich, dass Ottavia ihr Konzert beendet hatte.
    Mit ihren braunen Löckchen, die die Stirn einrahmten, und ihren großen, haselnussbraunen Augen sah meine Tochter wahrlich hübsch aus. Der rote Farbton des Kleides stand ihr gut. Ihre zwanzig Jahre versprühten Hoffnung. Hastig begann ich zu klatschen. Unser Juwelier tat es mir gleich, erhob sich und lobte ihre Darbietung mit ein paar umständlichen Höflichkeitsfloskeln. Von seiner Verlegenheit überrascht, lächelte Ottavia ihn an und erwiderte scherzhaft und mit verblüffender Offenheit, die ihre beste, aber auch wichtigste Gabe ist:«Oh, bemüht Euch nicht, Marco, ich singe krächzend wie eine Krähe. Ich bin nicht Marietta. Aber verzeiht, es ist keine Absicht.»
    Dem Juwelier wich die Farbe aus dem Gesicht. Von da ab blieb er für fast den gesamten Rest des Abends stumm. Er stellte sich ans Fenster - hager und wie benommen. Als er sich zeitig verabschiedete, umarmte er mich, hatte feuchte Augen und nannte mich liebster Vater. Er beteuerte mir, dass er mir selbst als leiblicher Sohn nicht hätte ergebener sein können. Alles, was ich für ihn getan hätte, würde nie vergessen werden. Er sei Waise und ich sein Vater gewesen, er sei ein Fremder gewesen und ich hätte ihn aufgenommen, ihm meine Heimat geschenkt. Ich hätte ihn in jedem Augenblick beigestanden und ihm immer den richtigen Weg gewiesen. Herr, ich verdiene seine Worte nicht. Er irrt sich, ich habe ihn in ein Labyrinth geführt und die Türen zugemauert: Selbst mit Dädalus’ Flügeln hätte er sich nicht befreien können.
    Im Flüsterton versicherte er mir, meinen Ratschlag gern ein weiteres Mal zu beherzigen. Aber niemals könne er sich eine Frau nehmen, die ihn tagtäglich daran erinnere, nicht die zu sein, die sie eigentlich sein müsste. Er könne sich höchstens eine vorstellen, die von Marietta genau das Gegenteil sei, also nicht hübsch, jung und attraktiv - sondern eine völlig farblose Frau ohne Sinn für Musik und ohne Geheimnisse. Eine Gefährtin, die ihm den
Haushalt führe, ihn bei den Gesellen unterstütze und im Laden nach dem Rechten sehe. Irgendeine Frau. Und diese Frau, wobei es ihm wichtig sei, dass ich es aus seinem Mund und nicht von irgendwelchen Klatschbasen erführe, habe er bereits gefunden.«An einsamen Tagen hat sie mir beigestanden, liebster Vater, als ich schwach wurde und Trost an ihrem törichten, wärmenden Leib suchte, als die Lieblosigkeit in meinem Haus immer unerträglicher wurde. Auch an kummervollen Tagen stand sie mir bei, und ihre demütige und häusliche Art rettete mich. Ihr wisst, von wem ich rede, Vater, bitte vergebt mir, Ihr kennt sie, und ich weiß, dass Ihr mir niemals Euren Segen geben könntet, wie auch Gott nicht, denn ich habe nicht die Absicht, sie zu heiraten, das würde ich niemals fertigbringen, auf immer und ewig will ich Mariettas Gemahl bleiben. Dennoch hat mich diese Frau davor bewahrt, mich auf dem Dachstuhl zu erhängen - mein restliches Leben, das sie mir zurückgegeben hat, gebührt deswegen ihr.»
    Herr, ich weiß, dass mir mein Schwiegersohn mit einer Aufrichtigkeit, die ihm zeitlebens alle Ehre machte, in diesem Moment zu erklären versuchte, was geschehen war. Er bot mir seine Freundschaft an - ehrlich und offen, wie es nur zwischen Männern möglich war, die dieselbe Frau geliebt haben. Und ausgerechnet ich empfahl ihm, Marietta zu vergessen. Zu seinem und meinem Besten. Dennoch konnte ich es nicht hinnehmen, dass den Platz meines Funken, meiner traumhaften Tochter, eine hundsgemeine Magd angenommen hatte. Das war so, als hätte sie der Juwelier erneut und endgültig betrogen - als hätte er mich, ja uns alle betrogen. Das werde ich ihm nie verzeihen können.
    Dominico, die Mädchen, meine Frau

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