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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Anders wäre es ihr nicht gelungen, einen solch launenhaften Menschen wie mich über den
Tisch zu ziehen und so viele Jahre zu ertragen. Meinetwegen hätte sie gar keinen Liebestrank oder Magneten gebraucht.
    Ich hatte damals ein Porträt von Gerolima Episcopi gemalt, Faustinas Mutter - eine blonde Frau mit verträumtem Blick, eine Prinzessin, deren Schicksal sie dazu verdammt hatte, in irgendeinem bürgerlichen Haus von Venedig auf die Welt zu kommen. Anschließend malte ich Faustina. Sie war noch keine sieben Jahre alt. Während sie an einer Säule in der Vorhalle ihres Hauses aufs Feinste herausgeputzt posierte, auf dem Arm ein Hündchen mit Schleifchen auf dem Kopf, fragte sie mich völlig unbedarft:«Meister Jacomo, warum habt Ihr in Eurem Alter noch keine Frau? So hässlich seid Ihr doch nicht. Nur etwas zu klein.»«Ich habe sieben Frauen auf meinem Dachboden eingesperrt, für jeden Abend in der Woche eine», erwiderte ich.«Sie sind meine Gefangenen, und ich habe ihnen die Zunge abgeschnitten, damit sie mir keine Fragen stellen können.»
    In jener Zeit besuchte ich häufig das Haus ihrer Eltern. Faustinas Vater war mir ein Freund und Verbündeter gewesen, als sich kein anderer bereit zeigte, mir zu helfen, und meine Zukunft so ungewiss wie ein wolkenverhangener Tag war. Faustinas Mutter war jünger als ich. Wenn ich kein Maler, sondern Matrose oder Bootsführer gewesen wäre, wenn ich den Moment, eine Familie zu gründen, nicht bis ins Unendliche hätte verschieben müssen, hätte ich ihr Vater sein können. Faustina ist an meiner Seite groß geworden. Ich aber würdigte sie nicht eines Blickes. Gewiss, eines Tages würde ich sie heiraten, das war mir klar - doch dieser Tag lag für mich in unbestimmter Ferne.
    Im selben Jahr, als Marietta geboren wurde, lud mich Gerolima ein, Christi Himmelfahrt auf ihrem Boot zu feiern. Episcopi habe sich in der Prozession einen Platz in der Nähe des Bucentaur gesichert - hinter den prunkvollen Galeassen der Senatoren und den Gondeln der Adeligen, aber noch vor den Barken der Händler, der Mannschaften des Arsenals und der Fischer- und Arbeiterboote.
Wir kämen in den Genuss einer beneidenswerten Sicht und würden mithilfe der speziellen, in Murano hergestellten Linsen selbst die verborgensten Details der Zeremonie aus der Nähe beobachten können, die man nicht zu Gesicht bekomme, wenn man am Ende des Umzugs vor sich hinschipperte. Nachdem das Prunkschiff des Dogen zur Trauung ins offene Meer hinausgeschwommen sei, würden wir am Lido anhalten und an Land gehen, um am Strand Picknick zu machen.«Es würde mich freuen, wenn du diesen herrlichen Moment mit unserer, mit deiner Familie verbringst», versicherte mir Gerolima lächelnd.
    Das Angebot war überaus zuvorkommend - aber ich wollte nicht, denn in jenen Tagen lockte mich nichts mehr als das Zimmer von Cornelia, wo ich mit Vorliebe verweilte und mich ganz vergessen konnte. Schweigend knieten wir über der Wiege und betrachteten unsere Tochter. Wir sahen zu, wie sie ein- und ausatmete, die Milch wieder ausspuckte oder mit ihrer Atemluft in Bläschen verwandelte, bestaunten andächtig ihre winzigen Füßchen und ihre milchigblauen Augen. Wir wollten, dass die ersten Eindrücke, die sie von der Welt bekam, friedvoll waren: dass sie stets diejenigen, die sie liebten und beschützten, um sich hatte, und die jedes Übel von ihr abgehalten hätten.«Komm schon, Jacomo», forderte mich Episcopi auf,«es ist die letzte Gelegenheit, ein Blick auf deine Braut zu werfen. Faustina ist inzwischen neun Jahre alt. Sie ist zu weit entwickelt und die Stadt zu unsicher. Ich werde nicht riskieren, dass man sie verdirbt. Sie wird das Haus nicht mehr verlassen dürfen. Um sie wiederzusehen, wirst du sie heiraten müssen.»
    Es war ein herrlicher Tag im Mai. Einhundert-, ja vielleicht zweihunderttausend Menschen aus der Stadt und Umgebung drängten sich entlang des Ufers, auf den Fondamenta und dem Wasser. Brigantinen, Schaluppen und Gondeln schaukelten Richtung Lido im Kielwasser der über und über mit Gold verkleideten, gigantischen Dogengaleere, die in der Sonne glänzte wie ein
monströser Drache aus dickem Leder. Auf dem Kanal und der Lagune wimmelte es von Schiffen wie auf einer Bettdecke vor Flöhen. Episcopis Tochter hatte ein spitzes Näschen und lebhafte Augen. Ich fand sie hübsch - mehr nicht. Ich setzte mich an Bug und versuchte, ihr aus dem Weg zu gehen. Faustina aber, in Spitze gekleidet und von einer nach Orange duftenden

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