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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Prozessionszüge und Aushängeschilder für Weinlokale an. Mein öffentliches Leben bescherte mir gelegentlich Zufriedenheit, viele Enttäuschungen und etlichen Ärger, bei dem ich meist mit einem blauen Auge davonkam. Und ich führte ein zweites, glückliches Leben, das bei Sonnenuntergang im Halbgeschoss von Santa Caterina anfing. Ich war stolz auf Cornelia und auf Marietta. Das wollte ich ihnen sagen, auf eine Art, die sie nie vergessen würden, wollte es der ganzen Welt mitteilen - damit sie sich eines Tages nicht für mich schämen müssten.
    Einen der ersten Verträge schloss ich mit den Cölestinern von Madonna dell’Orto. Die Flügel für die Kirchenorgel: zwei in vier Bereiche unterteilte Gemälde. Es war zwar kein besonders lukrativer, aber dafür ein ziemlich anspruchsvoller Auftrag, denn es ging darum, eine Fläche von der Größe eines Raums zu bemalen. Zog man die Ausgaben für Leinwand, Farben und die für eine derartige
Fläche notwendigen Arbeitsstunden ab, blieb mir gerade genug für ein Paar Schuhe und ein neues Kleidungsstück. Nach vier Jahren vergeblichen Wartens - eine Zeit lang hatte ich das Aufbegehren der Brüder durch die Ablieferung zweier Apostel von außergewöhnlicher Schönheit, und das sage ich ganz ohne Stolz, zum Schweigen gebracht - hatten sie den Tempelgang Mariens , der für die Außenflügel vorgesehen war, noch immer nicht bekommen. Schließlich baten sie mich zu sich: Ihr Prokurator, ein schmächtiger Mönch mit wallendem Barthaar namens Daniele, forderte eine Erklärung für meinen Verzug, den er für frevelhaft und schamlos hielt.
    Es folgte eine mühsame Unterredung.«Zu viel Arbeit», versuchte ich mich unbeholfen zu rechtfertigen,«ich bin bis über beide Ohren beschäftigt, ich suche ja schon nach einem Gehilfen, aber in der heutigen Zeit ist es nicht einfach, eine zuverlässige Person zu finden, die jungen Leute kündigen sofort wieder und gehen ihre eigenen Wege.»Die Gesichter meiner Auftraggeber verfinsterten sich zusehends. Daher behauptete ich, ich hätte ein besonders großes Gemälde, ein Telero, für den Saal des Großen Rates im Dogenpalast abzuliefern, sie möchten mich verstehen, die gütigen Mönche, ich hätte mich ganz auf dieses Gemälde konzentrieren müssen, ein Historienbild, eine anspruchsvolle Sache, sowohl Zeitgeschichte als auch die Sitten und Gebräuche der Epoche hätte ich studieren müssen, dass mir kein übler Schnitzer passierte, noch nie hätte ich einen derartig wichtigen Auftrag vom Staat bekommen, im Dogenpalast zu arbeiten sei eine außergewöhnliche Gelegenheit für mich gewesen, ich hätte mir einen Namen machen können, und mein Erfolg sei auch auf sie übergegangen, die mich in ihrer Weitsichtigkeit bereits zu einem äußerst bescheidenen Preis unter Vertrag genommen hätten, ich würde lediglich noch um etwas Geduld bitten.
    «Aber wir hatten so viel Geduld, Maestro», protestierte Padre Massimo,«seit acht Jahren, acht !, warten wir schon. In acht Jahren
kann man so einiges bewerkstelligen! Einen ganzen Palast kann man bauen, die Erdkugel umschiffen, ein Gedicht mit zehntausend Versen schreiben. Wie viel braucht es, um ein einfaches Gemälde anzufertigen?»«Wir haben Euch bereits fünf Goldscudi ausgezahlt», meldete sich streng der Mönch im Amt des Advokaten zu Wort,«wenn Ihr nicht in der Lage seid, den Tempelgang zu malen, so sagt es in aller Aufrichtigkeit und erstattet die Zahlung zurück: Wir werden uns an einen anderen wenden. In Venedig würden sich ein Dutzend hervorragender Maler geehrt fühlen, für uns zu malen.»Der Prior hatte recht. Meine Ausreden waren erbärmlich. In Wirklichkeit besaß ich aber noch gar keine Vorstellung von dem Bild. Die Hauptfigur - Jungfrau Maria - musste ein dreijähriges Kind sein. Krieger in Rüstung, Adelige im Pelzmantel, auch Heilige konnte ich malen, aber wie malt man ein Kind? Für mich waren alle Kinder gleich. Um die erhaltene Leistung nicht zurückgeben zu müssen, sondern den Mönchen vielmehr einen zusätzlichen Vorschuss zu entlocken, wechselte ich abrupt meine Strategie. Ich sagte, dass sie die Arbeit ruhig einem anderen, meinetwegen auch höher angesehenen und fleißigeren Maestro anbieten könnten, es sei lediglich schade, da ich bereits an einem gewissen Punkt angekommen sei. Ich log: Nicht einmal die Leinwand hatte ich besorgt.
    Zufrieden wie ein kleiner Dieb, der eine Geldbörse stibitzt hat, verließ ich die Sakristei: Ich hatte den geduldigen Mönchen weitere zehn

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