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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Charakter unterwerfen können - ich hätte ihr Vater und Meister, ihr Mann und Gesetz sein können. Wie eine junge Pflanze hätte ich sie verbiegen können, um meine Bedürfnisse zu befriedigen und nach meinen Wünschen und Neigungen zu leben. Sie war gut gebaut und erfreute sich prächtiger Gesundheit: Sie hätte mir gesunde und körperlich wohlgestalte Kinder geschenkt. Und das, was sie mir anbot - Aussteuer, Familie, Beziehungen - entsprach genau dem, was ich brauchte. Ich hätte ein Idiot sein müssen, sie abzulehnen. Ihrem Vater sagte ich kein Sterbenswörtchen.
     
    Marietta eroberte mich wie alle Frauen, die im Leben eines Mannes von Dauer sein wollen, Schritt für Schritt. Sie hatte gerade erst laufen gelernt, als sie mich bereits suchen kam und wie ein Kätzchen auf der Erde um mich herumschlich. Wenn ich morgens aus dem Bett meiner Liebsten stieg und das Kind sich an meinen Fuß klammerte, um mich am Gehen zu hindern, und sich bis zur Tür hinterherschleifen ließ, brachte ich es nicht übers Herz, mich von ihr zu trennen, und nahm sie mit. Sie war so klein und sah so rührend in ihrem weißen Hemdchen aus, und ich war dermaßen stolz, dass sie mir gehörte, dass es mir wie eine Sünde vorkam, sie über so viele Stunden nicht zu sehen.
    Sie zog an meinem Hosenbein, lächelte mich an und klatschte
in die Hände, das kleine Wunder. Es ist ein überwältigendes Gefühl, wenn man spürt, wie verlockend ein Kind ist, das noch nicht sprechen kann, das nicht einmal seinen Namen kennt, aber schon weiß, wie es die Aufmerksamkeit für sich gewinnt. Dieses unschuldige kleine Geschöpf bereitete mir immenses Vergnügen. Mit ihr war alles neu, staunenswert und einzigartig. Auch an mir entdeckte ich neue, ungeahnte Fähigkeiten. Ich konnte geduldig, hilfsbereit und zärtlich sein. Ich war in der Lage, mir das warme und nach Seife duftende Bündel ins Hemd zu stecken und zu wiegen, während ich an den Deckenbalken angeseilt mit den Füßen in der Luft baumelte und großflächig Farbe auf meine Leinwände auftrug. Das Geschaukel beruhigte sie. Seelenruhig schlummerte das kleine Bündel an meinem Herzen.«Ihr stürzt noch zu Boden», warnte mich mein Diener und beäugte misstrauisch die verschlissenen Seile an den nicht weniger abgenutzten und quietschenden Balken.«Das wird nicht passieren», erwiderte ich,«wir können fliegen.»
    Ich hatte ihr eine Wiege gebaut. Die Seidenlaken, in denen sie schlief, habe ich eigenhändig gefärbt. Das hatte ich noch nie getan. Ich persönlich brachte das Indigo im Kessel zum Kochen. Ich bereitete das hölzerne Schiff in der Werkstatt meines Vaters vor, rührte mit dem Stock in der Farbmischung und spannte eigenhändig die Tücher zum Trocknen auf den Rahmen. Die Arbeiter starrten mich verblüfft an. Ich wählte für sie ein schönes Dunkelblau aus, eine Farbe, die bei meinem Vater Bedauern auslöste. Welch herausragender Färber ich geworden wäre, hätte ich nur seinen Beruf ergriffen. Ihre erste Puppe goss ich in Wachs und formte mit meinen Fingern Beine, Arme, Mund und Haare. Ich modellierte ihr einen ganzen Zoo aus Wachs: Löwen, Elefanten, Giraffen, Kamele, Zebras, Hippogryphe, Einhörner. Nicht einmal die Tochter des Dogen besaß eine solche Menagerie.
    Ich habe später noch weitere Kinder bekommen. Ich befürchte gar, sie nicht alle aufzählen zu können. Doch kein einziges Mal
habe ich erneut dieses Wonnegefühl wie bei Marietta verspürt. Als sie das erste Mal meinen Namen sagte, als sie Zähne bekam, als sie ihren ersten Apfel schälte, als sie ihr erstes Vater unser betete, als sie zu plaudern anfing und ich sie nicht verstand, weil ihre Mutter auf Deutsch mit ihr sprach und daher sie auch mit mir, und ihre Worte verheißungsvoll wie ein unbekannter Zauber klangen; als sie auf meine Knie kletterte und an meinen Haaren nuckelte, mit feuchten Lippen meinen Bart und meinen Mund küsste.«Deine Tochter ist eine richtige Hure», sagte Cornelia scherzhaft und schaute amüsiert zu, wie mich Mariettas Liebkosungen entzückten.«Das hat sie von dir», neckte ich sie.
     
    Herr, drei Jahre lang führte ich zwei Leben. Ein ernsthaftes Leben vor aller Augen - bestehend aus Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Portraits, zumeist Gesichter arroganter Personen, die jedoch angesichts ihrer Sterblichkeit plötzlich in Entsetzen ausbrachen; ein paar Bilder für Seitenaltäre in dunklen Ecken oder Orgelflügel in bedeutungslosen Kirchen am Stadtrand. Ich fertigte sogar noch Fahnen für

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