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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Er sah nicht mehr, wie gut mein wilder Indianerstamm - so nannte er uns - versorgt war, besser als er Faustina je hätte unterbringen können.
    Episcopi sah Marietta prüfend an, während sie dem winzigen Säugling die Windeln abnahm. Eingehend beäugte er ihre Knabenhose und die recht weit aufgeknöpfte Bluse mit den zahlreichen glitzernden Glasperlen.«Du müsstest mal für etwas Ordnung in deinem Haus sorgen, Jacomo», merkte er an.«Das Ganze wird langsam unschicklich. Marietta geht überall mit dir durch die Stadt. Sie genießt zu viele Freiheiten. Die Leute reden schon.»«Herrgott», brach es aus mir heraus,«kümmere du dich um dein Kind, dann kümmere ich mich um meins.»
    «Du solltest Marietta einen Mann suchen und wenigstens ein Minimum an Enthaltsamkeit üben», entgegnete Episcopi kalt. Nicht ahnend, dass dies unser letztes Gespräch sein sollte, und erzürnt darüber, dass sich mein altkluger Schwiegervater in mein Eheleben einmischte und mit seinen Bedenken Mariettas und meine Freiheit störte, erwiderte ich sarkastisch, dass die Kanzel, von der er sprach, morsch sei. Er wolle mir sagen, was Ehre bedeute? Er, gegen den wegen Unterschlagung ermittelt wurde und der Gefahr lief, den Wanzen in den Gefängnissen des Dogenpalastes als Futter vorgeworfen zu werden?«Ich bin unschuldig!», fiel mir Episcopi ins Wort.«Ja, ja, ist schon gut», winkte ich ab.«Glaubst du mir etwa nicht?», fuhr er mich da an.«Seit dreißig Jahren sind wir Freunde, ja fast Brüder, und du glaubst mir nicht? Bedeutet das Freundschaft für dich, Jacomo? Immer wieder habe ich dich in Schutz genommen, habe für dich gekämpft, dir meine einzige Tochter gegeben, und du kehrst mir den Rücken zu und stellst dich in den Kreis derer, die mich zugrunderichten wollen?»

    «Hör zu, Zifra», sagte ich, ihn bei seinem alten Spitznamen aus unserer Jugend nennend,«ich weiß nicht, was du mit diesem Geld angestellt hast, und ich will es auch nicht wissen. Das ist nicht mein Problem.»Sintflutartig strömte der Schweiß über das Gesicht meines alten Freundes. Selbst aus seinem Bart tröpfelte es.«Aber was Töchter angeht», fügte ich hinzu,«da hast du recht, davon habe ich wahrlich genug. Diese wird die letzte sein. Lieber nehme ich mir eine Geliebte.»
    «Du bist und bleibst ein unverbesserlicher Märchenerzähler, Jacomo!», schimpfte Episcopi.«In drei Monaten wirst du Faustina wieder geschwängert und dir obendrein eine Geliebte gesucht haben, der es nicht anders ergehen wird.»Bevor wir noch weitere Dinge sagen konnten, derer wir uns später geschämt hätten, unterbrach uns die Hebamme mit der Nachricht, dass Lucrezia weniger als sieben Pfund wiege. Außerdem sei der Zustand meiner Frau besorgniserregend. Und unser Kleinster, Ottavio, sei ein Junge der Nacht. Tagsüber schliefe und nachts weine er - ein ununterbrochenes Gejammer, das erst in der Morgendämmerung oder durch totale Erschöpfung aufhöre. Er sei inzwischen drei Jahre alt. Seit seiner Geburt habe Faustina keine Ruhe mehr gehabt. Darauf seien auch die zwei Fehlgeburten zurückzuführen. Insbesondere das letzte Jahr sei sehr hart gewesen. Im März habe sie sich zusätzlich zu dem kleinen Söhnchen auch um ihren wegen Korruption und Diebstahl angeklagten Vater sorgen müssen. Und nun erhalte das Neugeborene zu wenig Nahrung von seiner entkräfteten Mutter. Daher sehe es so ausgezehrt und abgemagert aus. Ich beugte mich über den kleinen Säugling. Lucrezia war ein kränkelndes Küken mit runzliger, bläulicher Haut. Alles, was mir durch den Kopf ging, war: Sie wird bald sterben, also werde ich mich nicht um sie kümmern müssen. Genau das, Herr, waren meine Gedanken.
    Mit der Geburt verschwand jedoch Gabriele allmählich aus meinem Leben. In jenem Sommer fand ich für Marietta einen
Musiklehrer. Meine Frau und mein Schwiegervater waren dagegen, vertraten sie doch die Auffassung, es zieme sich nicht für anständige Frauen, sich mit Musik zu beschäftigen. Gewiss, wäre Marietta eine Aristokratin gewesen, hätte sie einen Privatlehrer gehabt. Doch normalerweise lernten nur Freudenmädchen Musik spielen, daher handelte es sich nach Meinung meiner Frau um eine recht absonderliche und gefährliche Idee. Marietta sollte aber eine ordentliche Erziehung erhalten, Herr, eine, die weder ich noch ihre Mutter noch meine Frau genossen haben. Wie die Tochter eines Prinzen - des Mannes, für den sie mich hielt.
    An hochkarätigen Musikern herrschte in Venedig kein Mangel, und mit dem

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