Tintorettos Engel
Musikstunden gab und sie gewiss nicht wegen ihrer schönen Stimme unterrichtete - für zwei Stunden nahm er so viel wie ich für eine Woche Arbeit.
Alles, was meine Kinder haben wollten, gab ich ihnen - denn nie sollten sie es bedauern, mich als Vater gehabt zu haben. Nie sollten sie auf den Gedanken kommen, ein anderer hätte besser sein können.
Der Einzige, der mir in diesen Jahren beistand, war mein Schwiegervater. Zu seinem ehrenvollen Gedenken möchte ich daran erinnern, dass Episcopi seine Enkel geliebt hat und es uns allen gegenüber nie an Unterstützung fehlen ließ. Selbst Marietta hat er geliebt. Er machte keine Ausnahmen. Episcopi war der Erste, dem ich mitteilte, dass ich Marietta gesetzmäßig anerkennen wolle. Ein Feigling wäre ich gewesen, es vor ihm geheim zu halten. Episcopi reagierte überrascht.«Woher willst du wissen, dass es deine Tochter ist?», fragte er argwöhnisch.«Weil sie einfach meine Tochter ist», entgegnete ich.«Heiraten ist deswegen erfunden worden, um einem Mann die Garantie zu geben, dass die Frau, mit der er Unzucht treibt, ihm allein gehört. Das kannst du von einer Freundin nicht sagen.»«Sie ist meine Tochter», wiederholte ich fest überzeugt.«Das wirst du nie wissen, Jacomo», ermahnte er mich.«Wenn du dich auch jetzt von deiner Leidenschaft lenken lässt, eines Tages wirst du es möglicherweise bereuen.»«Das wird nicht passieren», erwiderte ich.«Selbst wenn du dich noch so dagegen wehrst», fuhr Episcopi fort,«wirst du dich eines Tages dabei erwischen, wie du ihre Augenfarbe unter die Lupe nimmst oder die Form ihrer Nase, die Höhe ihrer Stirn, den Klang ihrer Stimme, die Art sich zu bewegen, zu sprechen oder zu lächeln.»Ich zuckte mit den Schultern. Mit sechsunddreißig Jahren sah ich mich leichtfertig immer im Recht. Mein Freund und zukünftiger Schwiegervater war ein Mann der Gesetze und Regeln, und ich unterstellte ihm, vor der menschlichen Variable des Lebens stets die Augen zu verschließen.«Ob sie nun meine leibliche Tochter ist oder nicht, hat keine große Bedeutung», sagte ich,«sie wird eben fortan auf ewig meine Tochter sein.»
Als ich ihm sechs Jahre später verkündete, das Kind zu mir zu
nehmen, behauptete er entrüstet, ich verstieße damit gegen die allgemeinen Gepflogenheiten. Er werfe mir nicht vor, ein uneheliches Kind zu haben - die Hälfte aller Venezianer befinde sich in der gleichen Situation. Auch nicht, für den Unterhalt des Kindes zu zahlen - die Hälfte der Hälfte der Venezianer tue nichts anderes. Es jedoch persönlich aufzuziehen sei nicht vorgesehen. Die Hälfte der Hälfte der Hälfte der Venezianer ziehe ihren unehelichen Sohn groß. Niemand aber ziehe eine uneheliche Tochter groß, die von einer Frau geboren wurde, die mit jedwedem ins Bett gegangen sei und daher irgendwen zum Vater ihrer Tochter machen konnte. Das sei absoluter Irrsinn.
Ich dachte, er bereue es, mir Faustina versprochen zu haben, und werde nun einen Rückzieher machen. Aber Episcopi überraschte mich.«Du bist mein Bruder», sagte er seufzend.«Deine Tochter ist meine Nichte. Die Familie ist heilig - auch wenn sie etwas schief geraten ist: Gott sieht alles.»Er strich sich über den Bart und fügte hinzu:«Es liebt die Malerei nicht wahrhaftig, wer nicht auch ihre Maler liebt. Wir haben nicht das Recht, die Werke zu verherrlichen, ohne den Künstler anzuerkennen. Gott segne euch, Jacomo und Faustina. Eure Ehe möge so glücklich werden wie meine.»
In jenem Sommer aber konnte mein Schwiegervater sich nicht zurückhalten. Während er die schluchzende Gerolima und den quengelnden Ottavio, der ihm sein weißes Hemd mit Rotz und Spucke verschmiert hatte, aus dem Weg schubste, meinte er:«Donnerwetter, euch kocht wohl das Blut in den Venen, bald kannst du einen ganzen Chor aufmachen! Wenn du den Versuchungen des Fleisches deiner Frau nicht widerstehen kannst», fügte er mit gutmütigem Lächeln hinzu,«dann nimm eine Arbeit außerhalb Venedigs an, Jacomo, geh an den kaiserlichen Hof, geh zum Papst, bleib ihr für ein paar Jahre fern. Euer Haus gleicht einer Schule. So könnt ihr nicht weitermachen. Faustina ist erst sechsundzwanzig Jahre alt. Ihr könntet noch fünfzehn weitere Kinder
kriegen.»In diesem Augenblick wünschte ich ihm nichts mehr als den plötzlichen Tod - und leider wurde ich erhört, denn nur zwei Monate später zersprang meinem Schwiegervater das Herz. So erlebte er nicht mehr die Genugtuung, seine Tochter frei von Armutssorgen zu wissen.
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