Tintorettos Engel
des Maskenzugs ernannt. Meine Idee war, den ganzen Stadtteil mit einzubeziehen und den Umzug von Madonna dell’Orto aus beginnen zu lassen. Ich hatte vor, dreizehn Wagen mit allegorischen Figuren zu bauen und das Entern der türkischen Schiffe und die Gefangennahme der Gegner tänzerisch darzustellen. Woche für Woche, während die Begeisterung unter den Menschen anschwoll, vergrößerte sich unser Projekt und wuchs wie eine Geschwulst wuchernd heran. Es ging darum, dreihundertfünfzig Personen anzuleiten, einhundertachtzig Musiker aufspielen zu lassen, Rollen zu verteilen und mit einhundertvierzig Bürgern den Part der Verlierer einzuüben. Den ganzen Winter lang kümmerte ich mich um nichts anderes.
Ich ließ davon ab, Dominico über das Benehmen seiner Schwester während des Unterrichts und Marietta über ihre musikalischen Fortschritte auszufragen. Als ich darüber die Nase rümpfte,
dass sie gerade Veni dilecta mea und Tota pulchra es amica mea probte, erklärte sie beschwichtigend, Maestro Zecchino habe das Hohelied für die Hochzeit des Sohnes des Erzherzogs Ferdinand von Bayern vertont, und es handle sich dabei um diese Komposition. Da wir Zecchino mit der Komposition der Siegeshymne beauftragt hatten, traf ich ihn häufig. Wir pflegten einen sehr höflichen Umgang miteinander. Ich hegte vollstes Vertrauen in den neapolitanischen Lehrer. In meine Tochter ebenfalls.
Davon abgesehen behauptete Marietta, nur meinetwegen den Unterricht zu besuchen. Lieber hätte sie sich in meine Werkstatt gehockt und gemalt, denn nur bei mir fühle sie sich sicher aufgehoben und glücklich. Sie wolle nichts studieren, schon gar nicht Musik. Immerzu jammerte sie, die Stunden seien anstrengend und der Lehrer streng. Wenn sie nach Hause kam, hatte sie vor lauter Magenkrämpfen keinen Hunger mehr und legte sich sofort ins Bett. In diesen Monaten machte Marietta eine regelrechte Metamorphose durch. Als sie eines Tages ihre Mütze lüftete, schaute ein schmaler Zopf hervor. Sie hatte sich die Haare wachsen lassen, die sie mit einem schwarzen Samtband verflochten im Nacken zusammensteckte oder über die Ohren aufwickelte. Sie versteckte ihr Haar nicht mehr unter der Jungenkappe, sondern bedeckte es - wie die heiratsfähigen Mädchen - mit einem Schleier. Eines Tages tauschte sie die kurze Jacke gegen ein Mäntelchen aus Damast. Ein anderes Mal zog sie sich Holzpantinen mit Absätzen an - sie empfand es inzwischen als kränkend, so klein zu sein. Wieder ein anderes Mal borgte sie sich bei Faustina eine Seidenbluse. Diese Verwandlung behagte mir nicht und gefiel mir dennoch - die Natur nahm ihren Lauf. Die Zeit verging wie im Flug. Gabriele gab es nicht mehr. Marietta war siebzehn.
«Wie laufen die Musikstunden?», fragte ich Dominico, als ich meinen Sohn endlich wieder einmal zu sehen bekam. Ich hätte keinen schlechteren Moment treffen können. Es war kurz vor Beginn des Maskenzugs in einem Raum einer verlassenen Seifensiederei
direkt neben Madonna dell’Orto, der als Requisitenlager diente. Mein als Page aus dem Morgenland verkleideter Sohn trug einen Turban und rieb sich das Gesicht mit Kerzenruß ein. In dem vom Platz heraufdringenden, ohrenbetäubenden Lärm konnten wir uns kaum verstehen. Auf Hunderte von Menschen, die vor der Kirche warteten, regnete es Hagelkörner herab, die hart wie Geschosskugeln waren. Alles stand bereit, allein der Hagelschauer, der allmählich in einen sintflutartigen Regen überging, verzögerte den Ablauf und machte die Pferde scheu. Das Durcheinander wurde mit jeder Minute schlimmer.«Maestro Zecchino meint, sie sei eine sehr begabte Schülerin», antwortete mir Dominico,«und wenn er das sagt, wird es schon stimmen, aber ich verstehe es nicht ganz. Wenn Marietta spielt, trifft sie oft die falschen Töne, und manchmal sieht es so aus, als hämmere sie einfach drauflos.»
«Und was sagt Maestro Zecchino noch?», wollte ich wissen.«Dass er es nie leid werden würde, sie zu unterrichten, dass ihre Lippen zart wie Seide seien und sie eine Engelsstimme habe», antwortete Dominico.«Und tatsächlich beendet der Maestro jedes Mal, wenn es vom Glockenturm schlägt, nur ungern die Stunde. Auch Marietta windet sich innerlich, wenn der Unterricht vorbei ist. Immer wenn wir die Gondel betreten, schaut sie noch einmal seufzend nach San Giorgio zurück.»«Was singt Marietta?», fragte ich misstrauisch. Dominico sah mich verunsichert an.«Akrobatische Madrigale, glaube ich.»
«Du meinst wohl chromatische
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