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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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Madrigale», korrigierte ich ihn.«Der Maestro sagt, er spüre den Geist der Inspiration in sich und komponiere daher weltliche Lieder», erzählte Dominico weiter.«Was für weltliche Lieder soll ein Pfaffe schon komponieren?», rief ich entrüstet.«Oh, täusch dich nicht, bislang hat der Maestro keine ewigen Gelübde abgelegt, noch zieht er das weltliche Leben vor, und seine Lieder sind wahrhaftig schön», merkte Dominico eilfertig an.«Sie gehen zu Herzen. Wenn nur Eure liebliche, blasse Hand. Werde Eure Anmut und Zier Euch je gewahr. Mein einzigartiger
Stern. Wenn Ihr nur Euer Antlitz bewundern könntet. Du stürzt mich in den Tod. Ihr wisst um meine Liebe. O lodernd Feuer der Liebe. Dies glühende Verlangen, das Amor mir geschenkt. Tausende Seufzer in der Nacht. Küsse mich, mein einzig Leben. Leben meines Lebens. Zärtliche Brust .»
    « Zärtliche Brust . Marietta singt diese Lieder in San Giorgio?», fragte ich mit erstickter Stimme. Mein Herz schlug so kräftig wie der Schwengel eines Glockenturms. Ein größeres Leid hätte mir Zecchino nicht antun können, selbst wenn er Marietta in Stücke gerissen hätte. Ich weiß, wie Männer sind, Herr.«Nun, sie stimmt sie an», erwiderte Dominico ein wenig verwundert.«Zuerst setzen sie sich auf die Orgelbank und spielen, dann beginnt sie zu singen, und wenn sie einen Fehler macht, hört sie auf, und dann bringt ihr der Maestro die Partitur bei.»«Die Partitur?», schrie ich förmlich.«Ich glaube, er erklärt ihr die Noten der Partitur», antwortete Dominico,«ich kann sie ja nicht sehen, weil mich der Maestro am Anfang der Stunde immer nach unten auf die Kirchenbank schickt.»«Und das tust du?», brüllte ich außer mir vor Wut.«Ja», entgegnete Dominico verunsichert,«der Maestro meint, dort unten sei der Klang der Orgel am besten.»
    Herr, ich fühlte mich, als hätte ich mit dem Knüppel einen Schlag auf den Schädel bekommen. Ausgerechnet da erklangen von unten Trommelwirbel und der Schall der Trompeten; die beiden als Nymphen verkleideten Jungen schossen aus dem Portal von Madonna dell’Orto und stellten sich vor den ersten Wagen, auf dem, steif und regendurchnässt, die durch eine Jungfrau verkörperte Tugend des Glaubens eine aus Kitt geformte Schlange - die den Feind darstellen sollte - mit Füßen trat. Eine weiß gekleidete Jungfrau. Die jungfräuliche Schönheit eines unberührten Körpers: die Tugend schlechthin. Dominico huschte davon und gesellte sich zu seinem Onkel, denn mein Schwager Piero - der sein Leben als langweiliger Notar verbrachte, in einem Regierungsbüro arbeitete und immer nur Gesetzesverstöße vermerken oder
Zuwiderhandlungen bestrafen musste - hatte genauso viel Spaß an dem Maskenzug wie mein elfjähriger Sohn. Obwohl sich die Herren seines Schlags damit begnügten, mit goldener Stola neben den Wagen herzulaufen, trug Piero Episcopi eine blond gefärbte Perücke, hatte große, rot bemalte Lippen und verkörperte die Klugheit: eine Frau. Dominico bekam ich nicht mehr zu fassen. Schwankend hatten sich die ersten Wagen bereits in Bewegung gesetzt und überquerten schlammspritzend die Brücke zum Palazzo del Cammello. Unter Einsatz meiner Ellbogen bahnte ich mir den Weg ins Innere der Kirche, wo die Musiker ihre Instrumente stimmten.
    Vor mir stand Zecchino - schwarz gekleidet und dünn wie ein Hering. Wenn nur Eure liebliche, blasse Hand! Zärtliche Brust! Er wollte gerade zu einer stürmischen Begrüßung ansetzen, als er meinen düsteren Blick sah und seine Gesichtszüge erschlafften. Die Menschen haben Angst vor mir, Herr. Zecchino verließ umgehend die Stadt. Jahrelang schien er wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Er hat nie wieder ein einziges Lied komponiert. Seine Laufbahn war zu Ende. Als wäre er gestorben. Ein Knochengerüst mit Hakennase, schmalen Lippen und Pferdegebiss. Hässlich. Niemand hätte ihn je einen echten Mann genannt. Abscheulicher, gemeiner Verräter. Der meinen Funken entehrt hat. Die Unschuld in Person. Kein schlimmeres Leid ward je geschehen. Im allgegenwärtigen Durcheinander dauerte es eine Weile, bis ich Marietta im Chor der Jungfrauen entdeckte.
    Die Parade bewegte sich in Richtung Markusplatz. Alles ging schief. Das vom Regen nass gewordene Feuerwerk ließ sich nicht entzünden. Dafür hätten die für das Entzünden zuständigen Fahnenträger beinahe alle Standarten, Banner und Traghimmel in Brand gesetzt. Der Triumphwagen, auf der die mit reichlich Schmuck behängte Venetia saß, wurde von

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