Tintorettos Engel
gemacht. Wahrlich eine verwerfliche Einstellung.
»«Mit seiner Arbeit Geld zu verdienen, ist für einen Maler der unübertreffliche Quell aller Zufriedenheit», erwiderte ich. Meine Worte überraschten mich, denn nie hätte ich mir vorstellen können, für Tizian Verständnis aufzubringen, geschweige denn, ihn in Schutz zu nehmen.«Das ist schon verkauft», bemerkte Pomponio im voreiligen Glauben, ich hätte mir das Portrait der Tochter des Maestros ausgeguckt. Ich schaute hingegen auf etwas, das über seiner letzten Schlafstätte baumelte.
Vielleicht hatte es sich der fürchterliche Greis erst am Fußende des Sofas aufgehängt, als er seinen Tod nahen spürte - um es besser betrachten zu können. Als er am Ende allein war und keine Kraft mehr hatte, in sein Schlafgemach hinaufzusteigen, war der Meister in sein Atelier umgezogen, wo er auf diesem an die Wand gerückten, türkisch anmutenden, sonderbaren Bett schlief. Hier liegend, war er tot aufgefunden worden, und auf dem Ruhelager befanden sich noch immer zerknüllte Laken und von grünlichem Schleim beschmutzte Kissen. Die Leinwand hatte sich von der Wand gelöst, sodass sie wie ein Fetzen herunterhing. Man sah lediglich auf ein schwarzes Dreieck. In Wirklichkeit war es ein großes, dunkles Gemälde. Die Dornenkrönung .
Der in weiß gekleidete, sitzende Christus ertrug die schmachvollen Schläge seiner Peiniger. Für einen kurzen Moment kam mir Pomponio - aufgedunsen, nahezu glatzköpfig, früh gealtert und hoffnungslos unglücklich, der sich wie ein Rabe durch die restlichen Beweisstücke der meisterlichen Größe seines Vaters bewegte - nicht weniger gemein als diese Folterknechte vor. Und dieser Ausverkauf erinnerte mich an eine Ächtung oder Schändung. Vom verleugneten leiblichen Sohn wie vom verleugneten Künstlersohn gemeinsam begangen - eine furchtbare, unsägliche Sünde, die auf uns zurückfallen und uns vernichten würde. Rasch verscheuchte ich diesen Gedanken aus meinem Kopf.«Das nehme ich», sagte ich knapp. Jeder König in Europa hätte dieses Gemälde, das Tizian nicht zu verkaufen bereit gewesen war, haben wollen.
Das er für sich behalten hatte - für seine letzten Tage.«Mein Vater schenkt es Euch im Zeichen der Liebe», erklärte Pomponio, während er die Münzen nachzählte und in einen Schubkasten steckte. Dieser war schon dermaßen voll, dass er überquoll und sich nicht mehr zuschieben ließ. Ich rollte die Leinwand ein. Auch wenn es keinen gerechten Preis für ein Meisterwerk gibt, bezahlte ich das Geforderte - mehr als ich konnte und gemusst hätte.
Sechs Monate später kehrte Pomponio in die Stadt zurück und brachte bei den Behörden die Plünderung im Anwesen seines Vaters durch unbekannte Einbrecher zur Anzeige. Unter den verschwundenen Gegenständen benannte er kein einziges Gemälde. Aber selbst mit dem vielen Geld aus dem unrechtmäßigen Verkauf konnte er seine Schulden nicht begleichen. Der Tod seines Vaters hatte ihn weder seiner Bedürftigkeit enthoben, noch würde er ihn jemals befreien.
Selbstverständlich wollte ich das Bild niemals wieder herausgeben. Dieses Gemälde - möglicherweise sogar unvollendet - war vollkommen, Herr. Die grundlose, barbarische und stumpfe Gewalt der Peiniger, die friedvolle und ergebene Entrücktheit des Christus, die gespenstische Nacht, die alles in sich verschlingt, das Spiegelbild des Doppelleuchters, die mit der Pinselspitze angedeuteten Lichtreflexe im Dunkel, all das zusammen schien mir zeitlebens das Ergreifendste der Welt zu sein. Diese Leinwand, die Gedenken, Prophezeiung und Vision in einem darstellt, erzählt vom Sohn Gottes und von uns. Sie ist eine Lektion in Malerei, Einfachheit und Sparsamkeit - mit fast nichts vermochte der große Meister alles auszudrücken. Außer mir hätte es kein anderer zu schätzen gewusst. Andere hätten es verkauft. Hätten es als Mittel und nicht als Zweck benutzt. Ich hängte es in meinem Atelier auf. Wo es sich noch immer befindet. Fast zwanzig Jahre lang schaute ich es Tag für Tag an. Und jeden Tag sagte ich mir: Wenn du nicht so großartig sein kannst, wirst du nichts sein.
Und genau da kam die Pest in mein Haus. Schlagartig war die Festung eingestürzt. Ich musste mich angesteckt haben. Ich war zum Begräbnis eines an Pest Verstorbenen gegangen, hatte ein verseuchtes Haus betreten, hatte berührt, was ich nicht berühren durfte, hatte es sogar mitgenommen. Doch das Übel traf die Kleinste von uns, mein jüngstes Kind. Ottavia war zwei
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