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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melania G. Mazzucco
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hervorbringen -, stellte ich eigenhändig Tizians her. Und alle bewunderten sie.«Großartig», war ihr Kommentar. Mal sagte ich die Wahrheit, mal weidete ich mich daran, sie getäuscht zu haben. Und noch immer sind meine Tizians auf der Welt im Umlauf.
    Er bekämpfte mich mit ehrrühriger Verbissenheit. Als Junge wies er mich ab. Als ich ein unbekannter Stümper war, verachtete er mich. Als ich allmählich Fuß fasste, machte er mich bei meinen Gönnern schlecht und zwang sie, mich abzulehnen. Ich musste intelligenter sein als er - tausendfach schlauer und listiger, ein Fuchs. Seine Abwesenheit hatte ich zu nutzen gewusst: Er weilte noch am kaiserlichen Hof in Augsburg, zugleich Diener und Günstling der Habsburger, als Venedig über meine Kunst ins Schwärmen geriet. Überreich an Ruhm kehrte er zurück - und lehnte den
Waffenstillstand ab. Erneut feindete er mich an, indem er bei Dichtern und Schriftstellern, die den Kunstgeschmack vorgaben, gegen mich intrigierte. In ihren Kompendien räumten sie mir nicht die mir eigentlich zustehende Bedeutung ein, und in ihren Traktaten warfen sie mir vor, ein schlampiger Anfänger zu sein: Mein einziger Trost ist die Gewissheit, dass ihre kleinlichen und boshaften Schriften meine Arbeiten nicht überdauern werden.
    Dieser Mann hatte alles. Er war die strahlende Leitfigur des Jahrhunderts, doch er ertrug nicht den Schatten eines winzigen Blättchens. Er wurde älter und ein immer großartigerer Maler, unnachahmlich - doch anstatt großzügiger zu werden, wurde er immer missgünstiger. Kunden, deren Portrait er ablehnte und die ihn um eine Empfehlung baten, schickte er zu Stümpern. Wenn sie ihn nach seiner Meinung über die nächste Generation fragten, erwiderte er, die Kunst in Venedig sei dem Niedergang geweiht und keiner der Jungen ihren Vätern würdig. Wenn er jemanden für einen Staatsauftrag auswählen durfte, ernannte er jedweden, nur nicht mich. Zuweilen schlug er sogar sich selbst vor, obwohl er wusste, dass er den Auftrag nicht ausführen würde, nur um ihn mir zu verwehren. Wurde er nach mir gefragt, tat er so, als erinnerte er sich nicht an meinen Namen.«Wer? Ah, dieser zwergenhafte, armselige, irre … Tintorello? Tintoretto? Das Färberlein?»Grinsend sprach er meinen Spitznamen in besonders erniedrigender und ordinärer Betonung aus. Er und seine Freunde sind schuld, dass ich für meine Zeitgenossen und die Nachwelt nie Jacomo geworden bin - sondern nur der kleine Sohn des Färbers. Ich schäme mich nicht dafür, seinen Tod geduldig abgewartet zu haben. Von Admiral Sebastiano Veniero, dem Kapitän von Lepanto, den ich nach dem Sieg portraitierte, stammten die weisen Worte, dass nicht der den Krieg gewinnt, der eine Schlacht gewinnt - sondern der einen Tag länger als sein Feind lebt.
    Und Tizian war tot. Er hatte seine unbegründete Missgunst, seine unversöhnliche Feindseligkeit und seine engherzige Eifersucht
auf mich, der ich von Alters wegen sein Sohn sein könnte, mit ins Grab genommen. Obgleich er mir in der letzten Zeit leisen Respekt gezollt hatte, als Beweis, dass die lange Feindschaft erloschen war, wäre der Tag der Versöhnung für uns nie gekommen. Nie hätte ich aus seinem Mund die Worte gehört, mit denen er mir sein künstlerisches Erbe anvertraut hätte. Davon abgesehen bin ich nicht auf der Welt, um irgendjemandes Erbe anzutreten - nicht einmal das meines Vaters. Als mir Antonio Comin die Nachricht vom Tod des Grafen überbrachte, rief ich ihm daher zu, dass er sich irre: Tizian werde nie sterben, denn dieser Mann sei wahrhaft unsterblich. Dennoch dachte ich im Stillen, dass das Feld nun endlich frei sei. Mein Leben würde einfacher werden.
    Trotz der Gefahr der Ansteckung ging ich zur Beerdigung. Inzwischen verlangten sogar die Behörden, dass Auflagen eingehalten wurden. Dem Cavaliere Tiziano Vecellio wurden daher nicht die feierlichen Exequien zuteil, die er verdient hätte. Lediglich hier und da kamen ein paar Schattengestalten aus ihren belagerten Häusern geschlichen, um im Dunkel der Basilika Santa Maria Gloriosa dei Frari einzutauchen und jenem die letzte Ehre zu erweisen, der Venedig so viel Ruhm und Ansehen gebracht hatte. Der Abend war schon angebrochen. Hastig wurde die Feier abgewickelt. Trotz des Weihrauchs und des Essiggeruchs, der sich in der großen, breiten, erbärmlich leeren Kirche ausbreitete, ließ sich der Gestank nach Tod nicht verbergen. Wir waren die Überlebenden einer Naturkatastrophe und einer ganzen Epoche. An

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