Titan 01
große Elektrokordion, das Henry für Jimmys erste Musikstunden gekauft hatte. Das war poliert, daß das synthetische Mahagoni nur so blitzte, und obenauf stand das 3‐D‐Foto des Jungen, das vor rund einem Jahr aufgenommen worden war. Maryl saß davor, die Hände im Schoß gefaltet, und starrte es an. Um einen Finger kringelte sich die blonde Locke, die sie von Jimmys erstem Haarschnitt aufgehoben hatte; sanft strich sie mit dem Daumen darüber, wie in träumerischen Gedanken verloren.
Als Henry hereinkam, stand sie jedoch auf, und ihr Gesicht verhärtete sich. Er zog die Schultern hoch, als fröstle ihn, senkte den Blick und tastete nach den Hausschuhen, die ihm der Robotpage sonst immer zurecht stellte. Dann fiel ihm ein, warum der kleine Roboter jetzt nicht mehr da war, und er schaute schuldbewußt auf.
»Henry!« In ihrer Stimme schwang ein leises Zittern mit, aber sie klang entschlossen genug. »Henry! Ich hab’ es mir überlegt. Jimmy ist jetzt schon zwei Tage bei deiner Mutter, und es ist nicht gut für ihn, so lange von mir getrennt zu sein. Ich will, daß du noch heute abend hinausfährst und ihn heimbringst!«
Das hatte er befürchtet, sich auch bereits eine Ausrede zurechtgelegt. Als er ihrem Blick begegnete, verzichtete er jedoch darauf. »Ich hatte einen schweren Tag, Liebling. Ich bin hundemüde. Außerdem macht das Heli Mätzchen. Ich glaube nicht, daß ich die dreihundert Meilen hin und zurück ohne Panne schaffen würde.«
Ihre Lippen wurden schmal. »Ic h arbeite auch. Ich hatte den ganzen Tag damit zu tun, Jimmys Zimmer aufzuräumen.« Ihre Miene wurde sanfter, und ein zärtliches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. »Er ist ein so unordentlicher Junge. Aber auch ein liebes Kind. Ich habe schon gedacht, wir sollten ihm wieder die Locken wachsen lassen, Henry. Er hat so entzückend damit ausgesehen.«
Henry zwang sich, keinen Ärger in seiner Stimme durchklingen zu lassen, weil er sich sagte, daß es sie viel härter getroffen hatte. Man hatte ihr zu verschweigen versucht, daß die Gebärmutteroperation eine Exzision gewesen war, und daß sie nun keine Kinder mehr bekommen konnte. Sie war immer sehr sensibel gewesen, und sie hatte die Erfüllung ihres Lebens darin gesehen, das Maximum von fünf Kindern zu gebären, das vom Gesetz zugelassen war. Aber irgendwie hatte sie die Wahrheit erfahren, und seitdem war sie verändert. Sie ließ das Haus verkommen, wies nicht einmal die Robotdienerin an, die Betten zu machen oder wenigstens etwas Staub zu wischen, aber sie räumte Jimmys Zimmer jeden Tag persönlich auf… und ähnliches.
Er nickte. »Das habe ich mir auch schon überlegt, Maryl. Wirklich, auch Mutter meinte, daß wir das tun sollten. Sie sagte, wir sollten Jimmy nicht zu rasch zu einem Mann machen wollen. Sie möchte heute abend mit ihm in die Stadt fahren, um ihm einen blauen Samtanzug zu kaufen.«
Er beobachtete ihre Reaktion und atmete erleichtert auf, als Maryls Anspannung nachließ. »Wie nett von ihr«, sagte sie freundlicher. »Obwohl sie es mir eigentlich hätte sagen können. Aber – nun ja, vielleicht holst du Jimmy dann doch erst morgen. Ich stelle mir vor, daß sie sich auch manchmal einsam fühlt. Aber du mußt ihn morgen heimbringen, Henry. Morgen!«
»Morgen«, versprach er und wanderte müde in die Küche, um nachzuschauen, was Zenia, das Dienstmädchen, ihm zum Abendessen bereitgestellt hatte. Maryl hatte sicher schon um fünf gegessen – wie immer, seit sie das Nachtmahl mit Jimmy einnahm, statt auf ihn zu warten. Manchmal kam es ihm vor, daß er eher mit der Robotdienerin verheiratet war als mit seiner Frau. Sie war nach dem richtigen Dienstmädchen benannt worden, das sie bis vor sieben Jahren gehabt hatten, und ihr Androidenkörper imitierte das Äußere des Mädchens vollkommen, bis zu den winzigen Schweißporen, die ihre Stirn feucht glänzen ließen, wenn sie am Herd arbeitete.
Er erzählte ihr den neuen Witz, den er im Büro gehört hatte – von der Heliverkäuferin, die einen Löwenbändiger heiratete. Die Geschichte hatte für das Robotmädchen keinen Sinn, aber sie lachte an der richtigen Stelle und revanchierte sich mit den Erlebnissen eines französischen Witwers, der sich Trauerkleidung besorgen wollte. Als er schlafen ging, hatte sich seine Stimmung erheblich gebessert.
Irgendwann in der Nacht wachte er auf und stellte fest, daß Maryl nicht in ihrem Bett lag. Er schlich den Korridor entlang und fand sie auf Jimmys Bett eingerollt. Sie schlief
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