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Titan 04

Titan 04

Titel: Titan 04
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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bei meinem Erwachen, aber nicht vor mir gekniet. Ich bin ein Mensch, Mons. Vergiß das nicht.«
    »Du hast den Welten den Frieden geschenkt«, sagte Mons.
    »Könnte ich wohl dafür etwas zu essen bekommen?« Mons verneigte sich und ging hinaus. Rasch wandte Tyrell sich Nerina zu. Die starke Sanftheit seiner Arme zog sie an ihn. »Sollte ich einmal nicht wieder erwachen…«, sagte er. »Auf dich zu verzichten, fiele mir am schwersten. Ich habe nie gewußt, wie einsam ich war, bevor ich einem anderen Unsterblichen begegnete.«
    »Uns bleibt hier im Kloster eine Woche lang Zeit«, sagte sie. »Eine Woche Zurückgezogenheit, ehe wir heimkehren. Hier bin ich am liebsten mit dir zusammen.«
    »Warte eine Weile«, sagte er. »Noch ein paar Jahrhunderte, und du hast diese Haltung von Ehrfurcht abgelegt. Und ich wünsche es mir. Liebe ist besser – und wen könnte ich in dieser Lage sonst lieben?«
    Sie gedachte der Jahrhunderte der Einsamkeit, die er durchlebt hatte, und ihr ganzer Leib schmerzte aus Liebe und Leidenschaft. Nach dem Kuß trat sie zurück und musterte ihn nachdenklich. »Du hast dich wiederum verändert«, sagte sie. »Du bist es noch, aber…«
    »Aber was?«
    »Irgendwie bist du zärtlicher.«
    Tyrell lachte. »Jedesmal waschen sie mir das Gehirn und geben mir eine neue Garnitur von Erinnerungen. Oh, vorwiegend sind es die alten, meine ich, aber die Gesamtheit ist ein wenig verändert. So ist es immer. Heute ist alles friedlicher als vor einem Jahrhundert. Deshalb stutzt man meinen Verstand zeitgemäß zurecht. Andernfalls entwickelte ich mich langsam zu einem Anachronismus.« Er runzelte leicht die Stirn. »Wer ist das?«
    Sie blickte zur Tür. »Mons? Nein. Da ist niemand.«
    »So? Nun… ja, eine Woche lang haben wir Ruhe. Zeit zum Nachdenken und zur Anpassung an meine neue Persönlichkeit. Und die Vergangenheit…« Er zögerte erneut.
    »Ich wäre gerne früher geboren«, sagte sie. »Ich hätte bei dir sein können…«
    »Nein«, sagte er hastig. »Jedenfalls… nicht wesentlich früher.«
    »War es so schlimm?«
    Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht, in welchem Maße meine Erinnerungen noch den Tatsachen entsprechen. Ich bin froh, daß ich mich nicht an mehr entsinne. Aber es genügt mir. Die Legenden enthalten Wahrheiten.« Trauer verdüsterte seine Miene. »Die großen Kriege… die Hölle war ausgebrochen. Die Hölle beherrschte alles. Der Anti‐Christ ging um unter der Mittagssonne, und die Menschen fürchteten das Hohe…« Sein Blick richtete sich an die helle, niedrige Decke und schien sie zu durchdringen. »Menschen hatten sich in Bestien verwandelt. In Teufel. Ich sprach von Frieden zu ihnen, und sie versuchten mich zu töten. Ich ertrug es. Durch Gottes Gnade war ich unsterblich. Doch sie hätten mich töten können. Waffen vermögen mich zu verletzen.« Er tat einen langen, tiefen Atemzug. »Unsterblichkeit war nicht genug. Gottes Wille erhielt mich, so daß ich weiterpredigen konnte, bis die verkrüppelten Bestien sich nach und nach auf ihre Seelen besannen und aus der Hölle emporkrochen…«
    So hatte sie ihn noch nie reden hören. Leise berührte sie seine Hand. Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder ihr zu. »Es ist vorbei«, ergänzte er. »Die Vergangenheit ist tot. Jetzt ist Gegenwart.«
    Entfernt sangen die Priester eine Lobeshymne der Freude und Dankbarkeit.
    Am Nachmittag des folgenden Tages begegnete sie ihm, wie er sich am Ende eines Korridors über ein dunkles, zusammengesunkenes Etwas beugte. Sie lief hinzu. Er stand über den Körper eines Priesters geneigt, und als Nerina aufschrie, erbebte er und richtete sich auf; sein Gesicht war bleich und spiegelte Entsetzen wider. Sie blickte hinab, und da wurde auch ihr Gesicht aschfahl.
    Der Priester war tot. An seiner Kehle waren blaue Male, sein Genick war gebrochen, sein Kopf auf ungeheuerliche Weise verdreht. Tyrell trat zwischen sie und den Toten, um seinen Anblick von ihr abzuschirmen. »Ho‐hole Mons«, sagte er so schwerfällig, als wären die hundert Jahre bereits abgelaufen. »Eile. Das… hol e ihn. «
    Mons kam, sah die Leiche und erstarrte vor Entsetzen. Sein Blick begegnete dem von Tyrells blauen Augen. »Messias«, fragte er mit erschütterter Stimme, »wieviel Jahrhunderte?«
    »Seit es Gewalt gab«, meinte Tyrell. »Acht Jahrhunderte oder mehr. Mons, niemand… niemand ist zu so etwas fähig.«
    »Ja«, sagte Mons. »Es gibt nicht länger Gewalt. Unsere Rasse ist darüber hinausgewachsen.« Plötzlich
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