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Titan 04

Titan 04

Titel: Titan 04
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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sank er auf die Knie. »Messias, gib uns den Frieden wieder! Der Drache der Vergangenheit ist auferstanden!«
    Tyrell straffte sich, stand in seiner weißen Robe, eine Gestalt kraftvoller Demut. Er hob seine Augen gen Himmel und betete. Nerina kniete nieder, die heiße Inbrunst von Tyrells Gebet verdrängte langsam ihr Grauen.
    Das Flüstern hauchte durch das Kloster und schrak zurück vor der klaren blauen Luft ringsum. Niemand wußte, wer tödliche Hände um den Hals des Priesters gelegt hatte. Niemand – kein Mensch – war noch zum Töten imstande; die Fähigkeit zum Hassen, zum Zerstören war – wie Mons gesagt hatte – aus der menschlichen Rasse herausgewachsen. Das Flüstern verließ nicht die Klostermauern. Die Schlacht mußte hier ausgefochten werden, im Geheimen, keine Andeutung durfte nach draußen dringen und den lange währenden Frieden stören.
    Kein Mensch.
    Doch ein anderes Geflüster verbreitete sich: Der Anti ‐ Christ ist wiedergeboren.
    Man wandte sich zum Trost an Tyrell, den Messias. Friede, sagte er, Friede – entgegnet dem Bösen mit Demut, senkt eure Häup ter zum Gebet, gedenkt der Liebe, welche vor zweitausend Jahren, als auf den Welten die Hölle losbrach, die Menschheit errettete.
    Des Nachts, an Nerinas Seite, stöhnte er im Schlaf und schlug nach einem unsichtbaren Feind. »Satan!« schrie er; erwachte und zitterte.
    Voll Demut hielt sie ihn in ihren Armen, bis er wieder schlief.
    Eines Tages betrat sie in Mons’ Begleitung Tyrells Gemach, um ihm von dem neuerlichen Schrecken zu berichten. Man hatte einen weiteren Priester tot aufgefunden, mit einem scharfen Messer furchtbar zerfleischt. Sie öffneten die Tür und sahen Tyrell ihr gegenüber an einem niedrigen Tisch sitzen. Er betete und starrte dabei in angeekelter Faszination ein blutiges Messer an, das vor ihm auf dem Tisch lag.
    »Tyrell…«, sagte sie, und Mons sog heftig und mit einem Flattern den Atem ein, dann fuhr er auf der Stelle herum. Er schob sie zurück über die Schwelle.
    »Warte«, sagte er mit wilder Eindringlichkeit. »Warte hier auf mich.« Bevor sie eine Antwort geben konnte, ging er hinein und schloß die Tür, und sie hörte, wie er sie verriegelte.
    Lange stand sie davor und dachte an gar nichts. Dann kam Mons heraus und schloß die Tür hinter sich. Er musterte sie. »Es ist alles gut«, sagte er. »Aber… höre mir zu.« Doch dann schwieg er; und setzte erneut an. »Gottgesegnete…« Wieder tat er jenen mühevollen Atemzug. »Nerina, ich…« Er lachte seltsam. »Merkwürdig, ich kann nicht sprechen, wenn ich nicht Nerina sagen kann…«
    »Was geht vor? Laß mich zu Tyrell!«
    »Nein – nein! Alles wird gut sein. Nerina, er ist… krank.« Sie schloß die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Sie lauschte seiner Stimme, die verunsichert klang, deren Lautstärke jedoch anschwoll. »Diese Morde. Tyrell hat sie begangen.«
    »Nun lügst du«, erwiderte sie. »Das ist eine Lüge!«
    »Öffne deine Augen«, sagte Mons in nahezu scharfem Tonfall. »Höre mir zu. Tyrell ist… ein Mensch. Ein sehr großer Mensch, ein sehr guter Mensch, aber kein Gott. Er ist unsterblich. Falls nicht jemand oder etwas ihn auslöscht, wird er ewig leben – so wie du. Er lebt bereits länger als zwanzig Jahrhunderte.«
    »Warum sprichst du davon? Ich weiß es!«
    »Du mußt helfen«, sagte Mons. »Du mußt es begreifen. Unsterblichkeit beruht auf einer Absonderlichkeit der Erbanlagen. Einer Mutation. Einmal in vielleicht tausend oder zehntausend Jahren wird ein unsterblicher Mensch geboren. Sein Körper regeneriert sich, er altert nicht. Auch sein Gehirn nicht. Aber sein Geist altert…«
    »Erst vor drei Tagen ist Tyrell durch das Wasser der Wiedergeburt geschwommen«, sagte sie verzweifelt. »Für ein weiteres Jahrhundert wird sein Geist nicht altern. Er… er stirbt doch nicht?«
    »Nein, nein. Nerina, das Wasser der Wiedergeburt ist nur ein Symbol. Du weißt das.«
    »Ja. Die tatsächliche Wiedergeburt findet später statt, wenn du uns in diese Maschine legst. Ich entsinne mich.«
    »Ja, die Maschine«, wiederholte Mons. »Würde sie nicht nach Ablauf jeweils eines Jahrhunderts benutzt, wärst du und wäre Tyrell schon vor langer Zeit senil und hilflos geworden. Das Bewußtsein ist nicht unsterblich, Nerina. Nach einer Weile vermag es die Bürde des Wissens, des Lernens, der Gewohnheiten nicht länger zu ertragen. Es verliert seine Beweglichkeit, wird von der Verhärtung des Alters umnachtet. Die Maschine reinigt
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