Titan 05
Spaß, Morgan.«
»Mach’s gut.«
Er stand in der pastellfarbenen Bude. ›Glück‹ verhieß die über ihm flackernde Leuchtschrift. ›Glück‹. Im Mittelpunkt des Vergnügungsviertels strahlte das riesige Feuerrad. Die Menschenmenge schob sich von einer Attraktion zur nächsten, während ein Schwall von flackernden Leuchtschriften und Lautsprecher‐stimmen in ihr Unterbewußtsein drang und es einlullte. Es war das Zeitalter der Muße, die Ära des Vierstundentages. Die Menschenmassen kamen jeden Abend seit sieben Jahren.
Er war ein dicker junger Mann, dessen Brillengläser seine Augen metallisch glänzen ließen. Er stand da und wartete auf seine Opfer.
Ein Mädchen blieb vor der Bude stehen.
»Hallo, Morgan.«
»Hallo, Laura.«
Sie war klein und drall. Ihre Haut war von einem liebreizenden Schokoladenbraun. Und sie lebte nur noch für das Huxley. Sie kam mindestens dreimal die Woche hierher. Sie war eine seiner ersten ›Abschüsse‹.
Sie lehnte sich gegen die Bude und schaute zum Himmel.
»‘n heißer Abend. Ich hätte heut abend gern das Huxley.«
»Wir haben eine Zelle frei. Es ist noch früh.«
»Ich hab’ schon meinen ganzen Wochenlohn ausgegeben.«
»Wie schade! Wann ist denn dein nächster Zahltag?«
»Donnerstag. Könntest du mir das Geld für das Huxley vorstrecken? Ich zahl’s dir am Donnerstag zurück.«
Er dachte nach. Sie mußte auf jeden Fall wieder vorbeikommen. Sie konnte nicht lange wegbleiben. Und da alle Verkäufer gegenüber Schuldnern zusammenhielten, würde sie dem Rück‐zahlen der Schulden auch nicht ausweichen können, indem sie gerade dann käme, wenn ein anderer Schicht hatte. Höchstens dann, wenn Wilson Schicht hatte. Wilson war in der letzten Zeit immer ein bißchen unfreundlich gewesen.
»Na schön, ich leih’s dir für ‘ne kleine Gegenleistung.«
Sie wand sich nervös. »Du bist doch verheiratet, Morgan.«
Er peitschte sie förmlich mit seinen Blicken. Sie hatte früher mal teures Parfüm benutzt, aber jetzt roch sie nur noch nach billiger Seife. Der Prozeß der Zerstörung hatte begonnen. Bald würde sie nur noch ihm und dem Huxley gehören.
»Ich liebe die Abwechslung«, sagte er. »Jeder gesunde Mann liebt die Abwechslung.«
»Ich hab’ es nie für Geld oder andere Vergünstigungen gemacht. Das ist ganz falsch. Ich hab’s immer nur getan, weil’s Spaß macht.«
»Wieso? Glaubst du etwa nicht, daß es mit mir Spaß machen würde?«
»Bestimmt. Aber versteh mich. Du solltest es auch nur aus Spaß machen.«
Er würde ihr nicht wehzutun brauchen. Der Akt selbst würde ihr genug Qual bereiten.
»Ich mag dich, Laura. Es würde mir mit dir viel Vergnügen machen.«
»Ich könnte dir doch etwas mehr Geld zurückgeben.«
»Ich brauch kein Geld. Ich brauch ein hübsches, gesundes Mädchen, dem es einfach Spaß macht, nur mal so.«
Sie schaute wieder zum Himmel.
»Glück«, sagte er. »Huxley‐Glück.«
»Läßt du mich das Huxley benutzen? Das letzte Mal ist schon zwei Tage her. Dieser Abend bringt meine Haut zum Prickeln.«
»Ich treff dich am Feuerrad, wenn ich mit der Arbeit fertig bin.«
»Okay!«
Er führte sie ins Innere der Bude und gab ihr die Beruhigungstablette. Sie legte sich die Kopfhaube selbst auf. Er drehte an den Knöpfen an der Wand. Ihre Augen schlossen sich. Elektrische Impulse begannen unmittelbar auf die Zentren ihres Gehirns, die das Glücksempfinden beherbergen, einzuwirken. Er beobachtete, wie sich ihre Züge zu einem Lächeln entspannten. Was würde sie in diesem Moment sehen? Visionen? Traumbilder? Oder empfand sie einfach das pure Glücksgefühl, wie es die Leuchtreklame versprach?
Er hatte das Huxley nie selbst ausprobiert. Er hatte nie den Mut dazu gehabt. Würde er jemals dieses reine, ungetrübte Glücksgefühl, diese völlige Entspannung von allen Konflikten am eigenen Leibe verspüren, dann würde er wahrscheinlich aufhören, das Traumbild, das er von sich selbst hatte, weiter zu verfolgen. Er mußte der Versuchung widerstehen! Jeden Abend bedrohte ihn das Huxley, schmiegte sich schmeichelnd an seinen Rücken, eine riesige, fleischfressende Blume, die ihn mit der unwiderstehlichen Süße einer Sirene lockte.
Er verließ die braune Plastikzelle und ging zum Eingang der Bude zurück. Ein paar Minuten später kam ein hochnäsiger Collegeboy herbei und lehnte sich an den Schalter. Er war hoch aufgeschossen, schlank und trug die Standarduniform, eine altmodische Tweedjacke und ausgebeulte Hosen.
»‘n
Weitere Kostenlose Bücher