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Titan 09

Titan 09

Titel: Titan 09 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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Brille, über der die dicken, schwarzen Augenbrauen sich wie Raupen kringelten. Paradine brachte ihn eine Woche später eines Abends mit zum Essen. Holloway schien die Kinder gar nicht zu beachten, aber ihm entging nichts von dem, was sie taten und sprachen. Seine grauen, scharfen Augen registrierten fast alles.
    Die Spielsachen faszinierten ihn. Im Wohnzimmer versammelten sich die drei Erwachsenen um den Tisch, auf dem das Spielzeug ausgebreitet war. Holloway studierte es gründlich, während er sich anhörte, was Jane und Paradine ihm erzählten. Schließlich brach er sein Schweigen.
    »Ich bin froh, daß ich heute abend hierher gekommen bin. Aber nicht nur froh. Das ist ziemlich verwirrend, müssen sie wissen.«
    »Hee?« Paradine starrte ihn an, und Janes Gesicht zeigte deutlich ihre Verblüffung. Die nächsten Worte Holloways waren nicht dazu angetan, sie zu beruhigen.
    »Hier haben wir es mit Geisteskrankheit zu tun.«
    Er lächelte über die schockierten Blicke, die ihn trafen. »Aus dem Blickwinkel eines Erwachsenen sind alle Kinder verrückt. Haben sie schon einmal Hughes’ Sturm in Jamaica gelesen?«
    »Ich habe es hier.« Paradine holte das kleine Buch aus dem Regal. Holloway streckte die Hand aus, nahm das Buch und blätterte die Seiten durch, bis er die gewünschte Stelle gefunden hatte. Laut las er vor: »Kleinkinder sind natürlich nicht menschlich – und sie besitzen eine sehr alte und sehr komplizierte Kultur; ähnlich wie sie Katzen haben, und Fische, und sogar Schlangen. In der Struktur ist sie die gleiche, aber viel komplizierter und lebhafter; denn Babys sind immerhin eine der am meisten entwickelten Arten der niederen Wirbeltiere. Kurz gesagt: Babys haben einen Verstand, der in eigenen Ausdrucksformen und Kategorien funktioniert, die nicht in die Ausdrucksformen und Kategorien des menschlichen Verstands übersetzt werden können.«
    Jane versuchte, das ruhig hinzunehmen, konnte es aber nicht.
    »Sie wollen doch nicht sagen, daß Emma…«
    »Könnten Sie wie Ihre Tochter denken?« fragte Holloway. »Hören Sie zu: ›Man kann genausowenig wie ein Baby denken, wie man wie eine Biene denken kann‹.«
    Paradine mixte die Drinks. Über die Schulter sagte er: »Sie theoretisieren da ein bißchen, nicht wahr? So wie ich es verstehe, wollen Sie sagen, daß Säuglinge eine eigene Kultur haben, ja sogar eine sehr hohe Intelligenz.«
    »Nicht unbedingt. Sehen Sie, es gibt kein Zentimetermaß dafür. Ich sage nur, daß Babys anders denken als wir. Nicht unbedingt besser – das ist eine Frage der Wertmaßstäbe. Aber mit einer anderen Art der Ausdehnung…« Grimassen schneidend suchte er nach Worten.
    »Fantasterei«, sagte Paradine ziemlich grob. Er war wegen Emma verärgert. »Babys haben keine anderen Sinne als wir sie haben.«
    »Wer hat das behauptet?« fragte Holloway. »Sie benutzen ihren Verstand nur in unterschiedlicher Weise, das ist alles. Aber reicht das aus?«
    »Ich versuche, das zu verstehen«, sagte Jane langsam. »Ich denke an meine Küchenmaschine. Ich kann damit Kartoffeln zerkleinern und stampfen, aber ich kann auch Orangen damit auspressen.«
    »Etwas in dieser Richtung. Das Gehirn besteht aus vielen Bausteinen, es ist eine sehr komplizierte Maschine. Wir wissen wenig über seine potentiellen Fähigkeiten. Wir wissen nicht einmal, wieviel es aufnehmen kann. Aber es ist bekannt, daß der Verstand konditioniert wird, wenn das menschliche Tier heranreift. Er folgt verschiedenen vertrauten Schablonen, und alle Gedanken sind nachher auf Muster gegründet, die man als richtig angenommen hat. Sehen Sie das hier.« Holloway berührte den ›Abakus‹. »Haben Sie damit experimentiert?«
    »Ein bißchen«, sagte Paradine.
    »Aber nicht viel, wie?«
    »Nun…«
    »Warum nicht?«
    »Es ist sinnlos«, klagte Paradine. »Selbst ein Geduldspiel muß irgendeine Logik haben. Aber diese verrückten Winkel…«
    »Ihr Verstand ist euklidisch konditioniert«, sagte Holloway. »Also ermüdet uns dieses… Ding und scheint ohne Sinn. Aber ein Kind weiß nichts über Euklid. Eine Geometrie, die sich von der unseren unterscheidet, würde ihm nicht unlogisch vorkommen. Es glaubt, was es sieht.«
    »Wollen Sie mir erzählen, daß dieses Gerät eine vierdimensionale Ausdehnung hat?« fragte Paradine.
    »Auf jeden Fall keine erkennbare«, verneinte Holloway. »Ich will damit nur sagen, daß unser Verstand, euklidisch konditioniert wie er ist, darin nur ein unlogisches Wirrwarr von Drähten sieht. Aber ein

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