Titan 14
ehrlich erfreut hinzu: »Nicht, daß es nur auf unsere Empfehlung zurückzuführen wäre, natürlich. Ihr eigener großartiger Verbrauchsrekord hat da selbstverständlich mitgeholfen. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie es schaffen würden!«
Morey mußte sich setzen. Er nahm nicht alles auf, was Wainwright noch zu sagen hatte, aber sehr wichtig war es vermutlich auch nicht. Dann schlich er sich aus dem Büro, wich den Kollegen aus, die ihm gratulieren wollten, und ging ans Telefon.
Cherry war ebenso begeistert wie er. »Oh, Schatz!« war alles, was sie herausbrachte.
»Und ohne dich hätte ich das nie geschafft«, stieß er hervor. »Wainwright hat das auch gesagt. Er hat gesagt, wenn wir – nun, du mit den Rationen nicht so gut zurechtgekommen wärest, dann hätte der Ausschuß das nie genehmigt. Ich wollte schon etwas zu dir sagen, Liebste, aber ich wußte nicht, wie ich es ausdrücken sollte. Aber ich bin wirklich dankbar. Ehrlich – hallo?« Am anderen Ende des Telefons herrschte ein seltsames Schweigen. »Hallo?« wiederholte er besorgt.
Cherrys Stimme klang ganz leise. »Morey Fry, ich finde, du bist gemein. Ich wünschte, du hättest mir das jetzt nicht verdorben.« Und dann legte sie auf.
Morey blieb der Mund offen stehen. Er starrte verdattert das Telefon an. In dem Moment tauchte Howland hinter ihm auf und lachte glucksend. »Frauen«, sagte er. »Man sollte nie versuchen, sie zu verstehen. Gratuliere, Morey!«
»Danke«, murmelte Morey.
Howland hustete und sagte: »Äh… übrigens, Morey, nachdem Sie jetzt zu den wichtigen Leuten hier gehören sozusagen, Sie… äh… fühlen sich doch sicher nicht… äh… nun verpflichtet, zum Beispiel etwas zu Wainwright zu sagen, was ich…«
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Morey, ohne zuzuhören, und schob sich an ihm vorbei. Er dachte einen Augenblick lang daran, Cherry noch einmal anzurufen, nach Hause zu eilen, um herauszukriegen, was er Falsches gesagt hatte. Nicht, daß es dazu besonderer Fantasie bedurft hätte. Er hatte sie an ihrer verletzlichsten Stelle getroffen.
Im übrigen erinnerte ihn seine Armbanduhr daran, daß sein Psychiatertermin näherrückte.
Morey seufzte. Der Tag gibt, und der Tag nimmt. Gelobt der Tag, der nur gute Dinge gibt.
Wenn es so etwas gibt.
Die Sitzung verlief schlecht. Viele Sitzungen waren schlecht verlaufen, entschied Morey; da waren immer Gruppen von Ärzten gewesen, die miteinander geflüstert und ihn aus ihrem Kreise ausgeschlossen hatten, ein Herumstochern und Bohren, ein Tasten in der Dunkelheit, anstatt der präzisen Psycho-Chirurgie, an die er gewöhnt war. Etwas stimmte hier nicht, dachte er.
Und so war es. Semmelweiss bestätigte es ihm, als er die Gruppensitzung abschloß. Nachdem die anderen Ärzte gegangen waren, forderte er Morey auf, sich ihm gegenüber zu setzen. Privat übrigens – er verlangte nicht einmal seine üblichen Rationspunkte. Daraus konnte Morey entnehmen, wie wichtig das Problem war.
»Morey«, sagte Semmelweiss, »Sie halten etwas vor uns zurück.«
»Das will ich aber nicht, Doktor«, sagte Morey ernst.
»Wer weiß denn schon, was Sie tun ›wollen‹? Ein Teil von Ihnen ›will‹. Wir haben ziemlich tief gegraben und einige sehr wichtige Dinge gefunden. Und jetzt habe ich etwas, woran ich mich festhalten kann. Die Erforschung des Geistes, Morey, ist genauso, wie wenn man Späher durch das Land von Kannibalen schickt. Man sieht die Kannibalen nicht – bis es zu spät ist. Aber wenn man einen Späher durch den Dschungel schickt und er auf der anderen Seite nicht wieder auftaucht, so kann man daraus schließen, daß sich ihm etwas in den Weg gestellt hat. In diesem Falle würden wir das Hindernis ›Kannibalen‹ nennen. Und im Falle des menschlichen Geistes bezeichnen wir das Hindernis als ›Trauma‹. Was dieses Trauma ist oder welche Auswirkungen es auf das menschliche Verhalten hat, müssen wir herausfinden, sobald wir wissen, daß es da ist.«
Morey nickte. All das war ihm nicht neu; er begriff nur nicht, worauf Semmelweiss hinauswollte.
Semmelweiss seufzte. »Das Problem beim Heilen von Traumata und beim Durchdringen psychischer Blockierungen und beim Lösen von Hemmungen – das Problem bei allem, was wir Psychiater tun, ist, daß wir es uns nicht leisten können, es zu gut zu tun. Ein gehemmter Mensch steht unter Streß. Wir versuchen, diesen Streß zu lockern. Aber wenn uns das völlig gelingt und wir ihm alle Hemmungen nehmen, dann haben wir es mit einem potentiellen
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