Titan 17
gab sie mir zurück.
Es dauerte sechs Monate, bis er seine Idee zu Papier gebracht hatte. Er sprach nicht viel über seine Arbeit, aber er ließ mich gewisse Teilaspekte des Problems ausarbeiten. So bat er mich einmal zum Beispiel, die notwendigen Gleichungen für die Projektion eines Tesseracoiden auszuarbeiten:
c 1 ω 1 + c 2 x 2 + c 3 y 3 + c 4 z 4 = R 4
Bei den Aufgaben, die er mir übertrug, handelte es sich meist um Projektionsprobleme. Aber der Sinn des Ganzen blieb mir unklar.
Anschließend verbrachte er ein Jahr mit experimenteller Arbeit. Ich bin Mathematiker und kein Labormensch, und so hatte ich mit der tatsächlichen Konstruktion des Hyperstereoskops wenig zu tun. Aber selbst dabei half ich, so gut ich konnte. Ich erarbeitete die Brechungsindices für Kristalle, die er in einem elektrischen Brennofen anfertigte, und ich arbeitete an den mathematischen Grundlagen eines genialen Instrumentes, das zwei aus entgegengesetzten Richtungen kommende Lichtstrahlen zu einem einzigen vereinigte.
Augenscheinlich war das ganze eine sehr komplexe Aufgabe. Professor Cosgrave verbrachte drei Wochen bei den Maschinenbauingenieuren. Er ging nach Chicago und blieb für einige Monate dort. Und eines Tages teilte er mir gelassen mit, daß das Hyperstereoskop fertig sei.
»Kann ich es sehen?« fragte ich eifrig. Ich hoffte, einen Ausblick in die vierte Dimension zu bekommen.
Das Instrument zielte aus dem Fenster auf den Campus hinunter. Es hatte drei Teleskope, die zu einem Dreieck angeordnet waren. Der Raum war überfüllt mit Apparaten, Elektronenröhren und Photozellen, zwischen denen Dutzende von Kabeln hin und her liefen.
Auf einem kleinen Tisch befanden sich zwei Okulare. Ich sah hinein.
Der Anblick machte mich benommen. Ich sah wogenden Dampf, kochende Wolken und tobende Stürme. Das ganze vibrierte vor Hitze. Da war eine träge fließende Flüssigkeit, die mich an rotweiße Metallschmelze erinnerte, wie man sie in Gießereien sehen konnte. Kochende, zischende Seen davon. Ich fuhr von dem Instrument zurück.
»Was ist das?« entfuhr es mir.
»Ich bin nicht sicher«, antwortete Professor Cosgrave. »Es werden langwierige Untersuchungen und Beobachtungen notwendig sein, ehe wir mit Sicherheit sagen können, was wir dort sehen.« Er drehte schnell an einigen Reglern. Ich sah mir das neue Bild an.
Dunst, von dünnen Streifen und Spiralen durchzogen. Ein blakender Himmel, nackte, rauchende Steine, eine unglaublich trostlose Landschaft, die sich in ferner Unendlichkeit verlor. Sie sah sehr heiß aus. Ich mochte sie nicht.
Ich stand eine Zeitlang hinter Professor Cosgrave, während er die Augen gegen die Okulare preßte und an den Reglern drehte. Ich war nahe daran, wieder zu gehen, als er plötzlich aufstand. Eine neue Idee war ihm gekommen.
»Zweifellos sind die Bilder, die wir hier sehen, Ausschnitte unseres eigenen Raums – nur eben unendlich weit entfernte Ausschnitte. Aber in der vierten Dimension sind sie uns sehr nahe. Es ist so, als würde man aus dem obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers ins Fenster eines gegenüberliegenden Gebäudes sehen, hinter dem sich ein Freund aufhält. Dreidimensional gesehen, ist er sehr nahe bei uns. Aber für unseren Körper, der in seinen Bewegungen gewissermaßen an die zweidimensionale Oberfläche gebunden ist, ist unser Freund sehr weit entfernt. Unter Umständen muß man einen halben Kilometer zurücklegen, um zu ihm zu gelangen, obwohl er nur wenige Meter entfernt ist.
Oder ich markiere ein Blatt Papier an jedem Ende und falte es. Dreidimensional betrachtet sind die Punkte ganz eng beieinander, während sie vom zweidimensionalen Standpunkt aus mehr als dreißig Zentimeter voneinander entfernt sind.«
»Das Stereoskop arbeitet also auf ähnliche Art, indem es uns Einblicke in ein anderes Universum gewährt.«
Er schüttelte den Kopf.
»Meine Vergleiche sind erbärmlich. Es ist sehr schwer auszudrücken – aber sehen Sie selbst.« Ich ging zum Instrument. Da war Wasser. Es bewegte sich, rollte, schwappte auf und nieder, endlos. Als ich das Teleskop leicht zum Fenster hin drehte, sah ich Felsen. Auf den Felsen war Schleim. Ein Schleim, der sich bewegte und einen wurmähnlichen Körper ausbildete. Es war scheußlich. Ich sprang auf, rannte hinaus und ließ den schadenfrohen Professor allein. Wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich läßt, begannen sich die Ereignisse von da ab zu beschleunigen.
Ich sah ihn einige Tage später wieder am Stereoskop.
»Ich
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