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Titan 17

Titan 17

Titel: Titan 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn , Wolfgang Jeschke
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habe es«, sagte er gutgelaunt, als er mich erkannte.
    Ich hastete zum Instrument.
    »Nein!« rief er aus und zog mich weg. »Ich meine den Vergleich.
    Wie Seiten in einem Buch. Verstehen Sie?«
    Ich nickte.
    »Nun schauen Sie.«
    Ich erkannte einen verschwommenen Sumpf; riesige Bäume mit grünen, fleischigen Blättern. Gigantische Saurier stakten durch das Bild.
    »Es sieht fast aus wie eine Evolutionsgeschichte«, entfuhr es mir.
    Er nickte zufrieden und redete weiter.
    »Jede dieser Szenen muß eine eigenständige, autarke Welt darstellen. Ich kann in der Entwicklung vor- und zurückgehen, wenn ich will. Es ist keine kontinuierliche Geschichte. Es gibt Lücken. Definitive Sprünge. Dazwischen ist nichts. Ich kann jeden dieser Sprünge sehen, wenn ich will. Wie die Seiten eines Buches.«
    Ich sah wieder durch das Instrument. Der Professor hatte die Regler nicht berührt, und die Szene war noch genau die gleiche. Ein riesiger Saurier kämpfte mit einer Kreatur, deren Körper im kochenden Wasser nur undeutlich zu erkennen war. Der Sumpf verwandelte sich in rosaroten Schlamm, Blut färbte Pflanzen und Morast. Der Professor redete unterdessen weiter.
    »Was Sie dort sehen, sind Welten oder Universen, die Seite an Seite mit uns in der vierten Dimension liegen. Seite an Seite wie Seiten in einem Buch. Himmel! Was für eine Enzyklopädie!«
    »Ich verstehe«, sagte ich langsam, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich es wirklich verstand. »Wie Schnitte in einem Mikrotom.«
    »Vergleichbar. Aber keine wirklichen Schnitte. Separate Welten. Dreidimensionale Welten wie unsere eigene. Seite an Seite, jede ein Stückchen weiter entwickelt als die vorhergehende. Dreidimensionale Seiten in einem vierdimensionalen Buch.«
    Es war nicht leicht zu verstehen. Ich dachte eine Weile darüber nach.
    »Schade, daß Carver von Purdue das nicht sehen kann«, sagte ich. »Erinnern Sie sich an seinen letzten Artikel im Scientific Monthly über Ihre Arbeit. Er ist direkt persönlich geworden. Ein solches Verhalten ist eines Wissenschaftlers unwürdig. Ich würde eine Menge darum geben, sein Gesicht betrachten zu können, wenn er das hier sieht. Lassen Sie ihn mich herholen.«
    Professor Cosgrave schüttelte den Kopf.
    »Warum wollen Sie einem Mann eine Niederlage beibringen? Das Leben wird noch genug unangenehme Überraschungen für ihn bereithalten. Früher oder später wird er es erfahren. Früh genug.«
    Diese Art zu denken war typisch für Professor Cosgrave. Er war ständig darum bemüht, seinen Mitmenschen Unangenehmes zu ersparen. Professor Cosgrave war ein Mensch, der in einer falschen Zeit geboren wurde, vielleicht in der falschen Welt. Er hätte es verdient, in einem weit entfernten Utopia zu leben.
    Was würde er jetzt tun? Ich wußte es nicht. Es gab eine Unmenge von Daten, eine ungeheure Anzahl von Welten, die zu studieren waren. Es wäre eine Lebensaufgabe gewesen, auch nur einen Blick auf jede einzelne zu werfen. Würde er seine Zeit in Zukunft damit verbringen, seine Neugier zu befriedigen, statt sich mit theoretischer Physik zu beschäftigen? Es gab noch eine Menge wichtiger Probleme, die auf ihn warteten. Professor Cosgrave stand gerade erst am Anfang seiner Karriere als theoretischer Physiker, und die Welt erwartete – wohl zu Recht – noch Großes von ihm.
    Wie auch immer – im Augenblick durchlief er eine Phase des neugierigen Studierens.
    »Die Seiten in diesem Buch scheinen streng chronologisch geordnet zu sein«, sagte er einmal. »Zufällig habe ich am richtigen Ende des Bandes begonnen – am Anfang der Evolution. Wenn ich das visuelle Feld geradlinig durch diese unbekannte Dimension steuere, sehe ich Seite um Seite, jede ein bißchen weiter entwickelt als die vorhergehende.
    Nun, ich bin Physiker, ich kann es mir nicht leisten, zuviel Zeit mit müßiger Betrachtung zu vergeuden. Aber ich muß ein paar Tage oder auch Wochen der Evolutionsgeschichte folgen, ehe ich den Biologen das Gerät übergebe. Die Verlockung wäre wohl für jeden Wissenschaftler zu groß.«
    Tagelang kam ich in den Raum und sah ihn dasitzen, die Augen gegen das Okular gepreßt und zu konzentriert, um Notiz von mir zu nehmen. Seine Haltung war oft verkrampft, von einer regungslosen Konzentration. Ich stahl mich dann wieder hinaus, zu ängstlich, um ihn zu stören. Einmal kam ich hinein und bemerkte, daß er zitterte, während er in den Apparat starrte. Mehrere Tage später fand ich ihn in der gleichen Haltung wieder, fast als hätte er sich

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