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Titan 17

Titan 17

Titel: Titan 17 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn , Wolfgang Jeschke
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die ganze Zeit über nicht von der Stelle bewegt. Sein ganzer Körper wirkte verkrampft und starr. Der Anblick alarmierte mich. Ich ging näher. Seine Kinnbacken waren verkrampft, und sein Atem ging keuchend.
    Ich war plötzlich besorgt um ihn und machte ein Geräusch, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er fuhr plötzlich auf. Sein Gesicht war bleich vor Schrecken.
    »Ich war Student«, sagte er, »Forscher. Ich habe niemals aufgehört, mir vor Augen zu halten, daß Menschen zu solchen Dingen fähig sind.«
    Ich sah in das Gerät. Ich sah Menschen. Eine Armee mit blitzenden Helmen und flatternden Wimpeln marschierte aus trüber Ferne auf.Der Vordergrund war rot und voller Bewegung. Überall war Blut; Männer schwangen Schwerter. Da waren Reihen von Gefangenen und Männer, die sie köpften. Ich sah nur eine Sekunde lang hin, ehe ich zurückprallte, aber ich sah Dutzende von Köpfen rollen und Fontänen von Blut über Henker und Gehenkte schießen.
    »Was für ein entsetzliches Schauspiel!« rief ich aus.
    Es war widersinnig – dieser feine, uneigennützige, zartbesaitete Mann verbrachte seine Tage damit, sich solche Grausamkeiten anzusehen!
    »So war es von Anfang an!« flüsterte er schaudernd. »Immer, wenn sich erste humane, menschliche Züge zu regen begannen… Krieg, Brutalität, Grausamkeit, der Wille, Menschen zu töten…«
    Aber ich konnte ihn nicht von dem Ding fernhalten. Er winkte mich zu sich und erklärte: »Soweit ich es verstehe, bewegt sich das Sichtfeld quasi im rechten Winkel durch die uns bekannten Dimensionen. Deswegen sehen wir nur Intervalle. Dazwischen ist nichts. Die Fortbewegung muß mit den Schwankungen der elektrischen Felder zusammenhängen, die die Brechungswinkel in den Kristallen ändern. Ich bewege mich jetzt auf das Ende der Skala zu. Die Welten erscheinen mehr und mehr zivilisiert. Das ist deutlich zu erkennen.«
    Im gleichen Augenblick war er wieder am Instrument und hatte mich scheinbar schon vergessen. Der Anblick beunruhigte mich.
    Ich kam gelegentlich ins Labor, um nach ihm zu sehen. Meistens merkte er noch nicht einmal, ob ich kam oder ging. Irgend etwas stimmte an. dieser Geschichte nicht. Es konnte einfach nicht angehen, daß ein Mann von derart hohem ethischen Standard ununterbrochen mit dem Grauen konfrontiert wurde.
    Eines Tages blickte er auf, als ich die Tür öffnete. Er schien auf mich gewartet zu haben.
    »Ich bin jetzt beinahe am Ende der Skala. Sehen Sie. Eine Welt wie unsere.«
    Durch die Okulare sah ich auf eine Stadt. Eine seltsame Stadt, die aber doch irgendwie an Städte wie London oder Paris erinnerte. Menschenmassen strömten über die Straßen, Autos schlängelten sich zwischen ihnen hindurch. Es war fast wie ein Bild aus unserer Welt, aber es gab Unterschiede. Irgend etwas, das mich sicher machte, eine andere Welt zu erblicken.
    Professor Cosgrave war blaß und aufgeregt.
    »Die Unmenschlichkeit der Menschen gegenüber Menschen«, stieß er hervor. »Der Gedanke könnte mich wahnsinnig machen – aber es gibt keine Hoffnung. Gerade jetzt, in dieser modernen, ordentlichen Stadt, habe ich einen Mob beobachtet, der Männer und Frauen durch die Straßen geschleift hat. Sie haben ihre Körper auf dem Brückengeländer aufgespießt, und ihr Blut hat sich mit dem Wasser des Flusses vermengt.
    Dabei steigern sich Schritt für Schritt Intelligenz und materieller Fortschritt. Aber wird sich der Mensch jemals weiterentwickeln? Wird er jemals eine Stufe erklimmen, auf der diese sinnlose und grausame Schlachterei beendet sein wird, auf der er gelernt haben wird, uneigennützig zu sein und zu kooperieren? Jede dieser Welten könnte uns näher an diese Stufe heranführen.«
    Er hantierte erneut an den Reglern. Ich sah, daß sie jetzt auf Null standen.
    »Sehen Sie!«
    Ich sah erneut durch die Linsen.
    Da war der Campus mit dem Sportfeld, die Kieswege und die Männerschlafräume. Stereoskop und Fenster boten nun den gleichen Ausblick.
    »Bei Null sehen wir unsere eigene Ebene dieser unbekannten Dimension. Unsere Seite des Buches – verstehen Sie?«
    »Und nun?« fragte ich.
    »Nun ist es an der Zeit, die folgenden Seiten des Buches aufzuschlagen. Welten, die weiter entwickelt sind als die unsere. Die Zukunft. Bis an die Grenzen meiner Befürchtungen.«
    Seine Augen leuchteten, und sein Atem ging rascher.
    »Die Zukunft«, flüsterte er, als er sich über die Okulare beugte und vorsichtig an den Reglern drehte. »In der Zukunft liegt die Hoffnung der menschlichen Rasse.

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